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Diktator

Diktator

Titel: Diktator
Autoren: Stephen Baxter
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kümmert’s dich? Irland ist in diesem Krieg neutral.«
    »Aber dein eigenes Land nicht.« Rory stand auf. »Ihr englischen Aristokraten seid doch alle gleich. Ihr und euer verfluchtes Empire. Jetzt heißt es, lieber Hitler als eine Labour-Regierung, hm? Also, eins sag ich dir, diese Mörderbande kriegt meine Arbeit nicht in die Finger.« Er hob eine Faust und trat auf sie zu.
    Es ging alles ganz schnell. Von irgendwoher brachte Julia eine Schusswaffe zum Vorschein. Ben hatte noch Zeit, um zu registrieren, wie klein sie war, wie hervorragend gearbeitet, wie teuer sie aussah. Sie hob die hübsche, versilberte Pistole und schoss Rory ins Herz. Rory machte ein überraschtes Gesicht und schaute auf das blutige Loch in seiner Brust hinunter. Dann erschauerte er; seine Knie gaben nach, und er brach zusammen.
    »Wie bedauerlich«, sagte Julia. »Da haben wir eine ganz schöne Schweinerei in dieser Wohnung angerichtet, was? Ich brauche ihn nicht. Zweifellos steht alles hier in diesen Büchern und Papieren. Aber dich brauche ich natürlich.« Sie drehte sich zu Ben um und lächelte. »Dich und deine Träume.«
    »Du willst mich deinem Ahnenerbe ausliefern. Den Deutschen.«
    »Sie sind schon hier. Überall um das Gebäude herum.«
    »In Nazideutschland werden sie dich lieben«, sagte er.
    »O ja, das werden sie. Sie tun’s jetzt schon! Also, kommst du nun ohne Widerstand mit oder …«

    Er hielt immer noch das schwere Geschichtsbuch in der Hand. So hart er konnte, knallte er es ihr gegen die Schläfe. Seine Bewegung kam aus dem Nichts, ohne die geringste Vorwarnung. Julia ging noch schneller zu Boden als Rory, und die Waffe fiel ihr aus der Hand.
    Ben schaute auf das Durcheinander. Julia, lang hingestreckt über Rorys Beinen, die silberne Pistole auf dem Boden. Er sollte alle Spuren ihrer Arbeit vernichten. Die Waffe nehmen. Julia töten.
    Er wusste, dass er es nicht konnte. In seinem Kopf war nur der Gedanke an Flucht, sonst nichts. Er wollte weglaufen, so weit er konnte, weg aus Princeton, aus Amerika – vielleicht bis nach England, wo er zumindest sicher sein konnte, nicht auf Nazis zu treffen.
    Aber zunächst musste er diesen Tag überstehen, ohne geschnappt zu werden. Er ging zur Tür und hielt Ausschau nach Julias deutschen Helfershelfern.

ERSTER TEIL
INVASOR
MAI-SEPTEMBER 1940

I
    31. Mai – 1. Juni 1940
    Am Freitag, dem 31. Mai, hörte Mary Wooler in den Abendnachrichten der BBC von der verzweifelten Evakuierung aus Frankreich. Es war das erste Mal, dass die Öffentlichkeit davon erfuhr. Die Operation lief bereits seit fünf Tagen.
    Sie verbrachte eine schlaflose Nacht, in der sie fast ständig mit dem Kriegsministerium telefonierte und herauszufinden versuchte, was aus ihrem Sohn geworden war. Es klang, als würden alle Bemühungen scheitern, die British Expeditionary Force, das Expeditionskorps, von Dünkirchen aus zu evakuieren. Es war chaotisch, eine sich anbahnende Katastrophe. Trotzdem erklärte man ihr, dass Elemente von Garys Division nach Hastings an der Südküste gebracht werden sollten, sofern sie überhaupt zurückkämen. Also musste sie dorthin.
    Am Samstagmorgen brach sie mit ihrem Leihwagen, einem Austin Seven mit weiß lackierten Stoßstangen und Plastikblendschirmen über den Scheinwerfern, von ihrer Mietwohnung in London zur Küste auf.
    Die Fahrt hätte eigentlich ganz einfach sein sollen. Sie wollte ungefähr in südsüdöstlicher Richtung fahren, durch Croydon, Sevenoaks und Tunbridge Wells,
und dann das ländliche Sussex durchqueren, bis sie über einen kleinen Ort namens Battle, wo die Engländer einst den Normannen gegenübergestanden hatten, nach Hastings gelangte. So sah zumindest ihr Plan aus.
    Aber sie wusste nie, wo, zum Teufel, sie sich gerade befand. Unterwegs sah sie Trupps von Arbeitern, die Wegweiser entfernten und Metallplatten mit Dorfnamen abschraubten. Keine Namen! Als Journalistin und Historikerin hatte sie sich ihren Lebensunterhalt stets mit Wörtern verdient, und sie fand es seltsam, dass die Engländer ihr Land schützen wollten, indem sie ihm seine Wörter raubten, jene Bedeutungsschicht, die der Landschaft ihren menschlichen Kontext verlieh: Wörter, die ein Mischmasch aus normannischem Französisch, Altnordisch, Altenglisch und sogar ein bisschen Latein waren, Relikte anderer tumultuarischer Zeiten, Wörter wie Kugellöcher. Nun, vielleicht würde es General Guderian und seine Panzer verwirren, aber auf jeden Fall verwirrte es Mary.
    Dennoch, die Sonne war ein
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