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Diktator

Diktator

Titel: Diktator
Autoren: Stephen Baxter
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ihn das vor der Einberufung bewahrt. »Nicht nötig, so einen Ton
anzuschlagen, Madam. Sie sind in Bexhill.« Er zeigte nach Osten, die Küstenstraße entlang. »Hastings ist ein paar Kilometer in dieser Richtung. Fahren Sie einfach durch Saint Leonard, dann können Sie’s gar nicht verfehlen.«
    »Danke.« Sie eilte zu ihrem Wagen zurück.
    Im Rückspiegel sah sie, wie er dort stand und ihr nachschaute. Sie rief sich ins Gedächtnis, dass sie sich an der belagerten Küste eines Landes befand, in dem man den starken Verdacht hegte, dass der Feind nicht erst kam, sondern vielleicht schon da war, in der einen oder anderen Verkleidung. Er zurrte seinen Helm fest und setzte seinen Patrouillengang am Strand fort.
    Auf der Küstenstraße, die schnurstracks nach Osten führte, waren zahlreiche Lastwagen, Busse und andere Transportfahrzeuge sowie – beunruhigenderweise – Krankenwagen unterwegs.
    Sie kam in eine andere Stadt und sah einen Pier, um dessen mächtigen Unterbau sich Boote drängten. Man hatte den Pier vom Land getrennt, damit er nicht von deutschen Invasoren benutzt werden konnte. Sie fuhr weiter, bis die Straße am Fuß eines steil aufragenden Hügels aus Schichtgestein vorbeiführte, auf dem sich die Ruinen einer Burg ausbreiteten. Dies war eine Seestadt mit Hotels und einem Konzertpavillon. An diesem Sommersamstag sah Mary jedoch keine Kinder auf den Straßen. Zweifellos alle ins Landesinnere evakuiert, wegen der Invasionshysterie. Trotzdem war es unheimlich. Und vor ihr tat sich ein äußerst seltsamer Anblick auf, ein Schwarm riesiger silberner Fische,
die an straff gespannten Seilen in der Luft schwebten. Es waren Sperrballons; offenbar rechnete man mit Luftangriffen.
    Bald sah sie eine Hafenmauer ins Meer ragen. Den Hafen selbst konnte sie jedoch nicht erreichen, weil die Küstenstraße gesperrt war. Überall wimmelte es von Uniformen. Erneut wusste sie nicht, was sie tun sollte; also bog sie landeinwärts ab und hielt Ausschau nach Auskunftsstellen und Polizisten.
    Sie passierte einen freien Platz, der offenbar in ein medizinisches Triagezentrum für Flüchtlinge umfunktioniert worden war; freundliche Krankenschwestern und andere Freiwillige kümmerten sich um verwirrt dreinschauende Zivilisten. Ein Arzt im weißen Kittel saß bei einer Frau und versuchte sanft, ihr etwas wegzunehmen. Im Vorbeifahren sah Mary, dass es ein Arm war , der abgetrennte Arm eines Kindes, geschwärzt und verbrannt. Der Anblick verwirrte Mary. Sie war doch eigentlich Journalistin, zumindest zurzeit. Aber wie konnte sie über so etwas schreiben?
    Vor einem unbebauten Stück Land geriet sie in einen weiteren Stau. Dies war der Ankerplatz für einen der Sperrballons. Das stahlgraue Monster, eine knapp zwanzig Meter lange, mit Wasserstoff gefüllte Hülle, stand ziemlich tief über den Dächern; man ließ es gerade aufsteigen. Es war durch dicke Stahlseile mit dem Erdboden verbunden, und ein Arbeitstrupp mühte sich ab, die auf massive Winden gewickelten Seile kontrolliert abzuspulen. Es waren zumeist Frauen in den Uniformen des ATS und der Wrens, die sich
schwitzend abrackerten, außerdem ein paar WAAFs, Mitglieder der Women’s Auxiliary Air Force, des weiblichen Luftwaffenhilfskorps. Ein Offizier stand daneben und zählte unablässig, um dem Trupp an den Winden einen Rhythmus vorzugeben. Mary schaute zu, fasziniert vom Anblick des Miniaturzeppelins, der von den Straßen dieser Stadt am Meer emporstieg.
    Vor ihren Augen verlor eine der WAAF-Frauen ihre Mütze, und leuchtend rotes Haar fiel offen herab. Mary glaubte zu wissen, wer die Frau war. Sie stellte den Wagen hastig ab, ohne auf die Rufe eines anderen ARP-Warts zu achten, stieg aus und lief los. »Hilda! Hilda Tanner!«
    Die junge WAAF-Frau drehte sich um. Mary lief winkend auf sie zu. Die Frau sprach ein paar Worte mit dem Offizier, und er entließ sie mit einer energischen Kopfbewegung aus dem Trupp. Hilda hob ihre Mütze auf, stopfte das rote Haar darunter und eilte auf Mary zu.
    Eine Woge der Erleichterung spülte über Mary hinweg. Es war nicht Gary, aber sie war ihm schon einen Schritt näher. »Hilda? Sie kennen mich nicht. Wir sind uns noch nie begegnet. Ich kenne Sie nur von den Fotos …«
    Als Hilda ihren Akzent hörte, erriet sie offenkundig, wer Mary war. »Sie sind Garys Mutter.«
    »Er hat von Ihnen erzählt, und wie er Sie hier kennen gelernt hat – ich saß in London fest, wissen Sie – und dann kam die Einschiffung …« Unerklärlicherweise
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