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Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)

Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)

Titel: Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)
Autoren: Wladimir Kaminer
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fühlte sich in dem Teich sehr wohl, sie vermehrte sich sogar auf wundervolle Weise, und es wurden immer mehr Karauschen in dem Teich gesichtet. Ich fühlte mich für diese Hausfische zuständig und fütterte sie wie die Katzen im Garten und die Vögel auf dem Dach unseres Hauses, in der Hoffnung, dass es vielleicht in der zweiten oder dritten Karauschen-Generation einen Fisch geben würde, der sprechen und mir drei Wünsche erfüllen konnte. Dafür hätte ich ihn in die Freiheit, in den Glücklitzer See, gelassen. Ich überlegte mir schon ein paar Wünsche für diesen Fall. Mein erster wäre selbstverständlich Weltfrieden. Als Zweites und Drittes wollte ich singen und fliegen lernen. Ich bildete mir ein, diese Eigenschaften würden mein Leben von Grund auf ändern. Anstatt mich in einer von Sorgen und Kriegen umzingelten Welt dem Trinken und Nachdenken hinzugeben, würde ich mithilfe des Goldfisches in einer sorgenfreien, friedlichen Umgebung – etwa so wie Gagarin – herumfliegen und mit einer Engelsstimme die Menschen vollsingen. Vielleicht würde ich aber auch eine Rapper-Karriere starten, mit langsamem Rap für ältere Menschen, überlegte ich.
    Die Fische fraßen fleißig die Brotkrümel, die ich ihnen in den Teich streute, aber sie redeten nicht mit mir. Jedes Mal, wenn ich mit einem Brötchen am Teich erschien, hatte ich das Gefühl, von den Fischen beobachtet zu werden. Es schien mir, ich würde ihre Augen sehen, die aus der Tiefe des Wassers zu mir heraufschauten. Die Brotkrümel fielen ins Wasser und waren von schnellen dunklen Schatten in Sekundenschnelle weggefangen. Ich gewöhnte mich langsam an die Karauschen-Familie.
    Im Winter überzog sich der Teich mit einer Eiskruste, und ich hatte Angst, meine Fische könnten unter dem Eis erfrieren. Aber in ihrem Blut ist eine Art natürlicher Alkohol vorhanden, der es selbst bei Frost nicht einfrieren lässt. Meine Freunde, alles erfahrene Angler, versicherten mir, Karauschen seien erstaunlich überlebensfähig, sie könnten selbst in einer Tiefkühltruhe überwintern. In der kalten Jahreszeit schlafen sie normalerweise, und im Schlaf verbrauchen sie sehr wenig Sauerstoff. Sie schlafen so lange, bis die Sonne irgendwann wieder wärmt. Dann erwachen sie zu neuem Leben, ohne älter oder verschlafen zu wirken.
    Für alle Fälle schlug ich trotzdem ein großes Loch ins Eis des Teiches, um sicher zu sein, dass meine Karauschen noch da waren. Ich kontrollierte die Vogelessensvorräte und fütterte die Katzen, die sofort von allen Seiten ankamen und tiefe Spuren im Schnee hinterließen. Ich holte Holz und zündete den Kamin und die Kerzen an. Wenn schon Ende der Welt, dann sollten doch wenigstens alle satt und gewärmt abtreten.
    Im russischen Radiosender schlug der Moderator Alarm. Die Untergangsspezialisten hätten noch einmal alles durchgerechnet und seien sich nicht einig geworden. Die einen behaupteten, das Ende würde zwar kommen, aber nicht um 11.00 Uhr, sondern um 15.00 Uhr stattfinden. Die Optimisten unter den Experten sagten, das Ende sei noch gar nicht sicher, wenn es aber doch käme, dann erst um 19.30 Uhr abends – das wäre der von den Mayas errechnete Zeitpunkt. Die orthodoxen Popen warnten vor großen Staus auf den Straßen, die bei dieser Gelegenheit eventuell entstehen könnten. Während des Letzten Gerichts würden wahrscheinlich große Menschenströme entstehen, wenn die Sünder Richtung Hölle abgingen, während die Gerechten ihnen entgegenkamen und gen Himmel stürmten. Die Straßen seien aber vereist, die Wege für die meisten unbekannt. Die Gefahr, dass die Menschen einander bei dieser Umsiedlung niedertrampelten, sei deswegen groß, prophezeiten die Kirchenbeauftragten.
    Ich ging durch das Dorf spazieren. In Glücklitz gab es weit und breit keine Staus. Der ganze Ort wirkte leer und verlassen, als hätte der Weltuntergang hier schon längst stattgefunden. Es dämmerte bereits, ich traf keinen einzigen Menschen auf der Straße. Nur im Fenster von Herrn Köpke leuchtete das Fernsehgerät mit einem vorweihnachtlichen Programm. Auf dem Friedhof lagen verwelkte erfrorene Rosen auf verschneiten Gräbern. Die freiwillige Feuerwehr zeigte ein völliges Desinteresse am möglichen Ende, ihr Tor war verriegelt. Vor der ebenfalls verschlossenen Kirche hing ein Transparent: Die Protestanten luden alle abwesenden Glücklitzer zum Neujahrskonzert ein. Chor und Orgelmusik seien geplant.
    Trotz der Kälte und dem Wind, der mir unter die Jacke kroch, ging
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