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Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)

Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)

Titel: Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)
Autoren: Wladimir Kaminer
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Damals hatte ich Besuch aus Moskau empfangen, einen alten Freund, der mich auslachte, als ich ihm erzählte, dass es mir aus rätselhaften Gründen nicht gelang, einen Fisch aus dem See zu angeln, obwohl es dort ganz sicher viele Fische gab. Er lachte und gab an, ein erfahrener Angler zu sein, der zu jeder Zeit aus jeder Pfütze einen Fisch herausholte. Das Entscheidende für den Erfolg des Anglers sei der Glaube, belehrte er mich. Man müsse nur glauben und hoffen, dann werde einem auch gegeben, predigte er. Ich nickte, glaubte ihm aber trotzdem nicht.
    Wir gingen zum Fluss. Er stellte zwei Angeln am Ufer auf, und tatsächlich hatte er nach gerade einmal einer halben Stunde etwas am Haken. Der Schwimmer ging unter. Ich war sehr aufgeregt, mein Besuch aber blieb ruhig wie Buddha und zog mit geübter Handbewegung einen Goldfisch aus dem Wasser. Zumindest schien es mir so, dass der Fisch rot-golden glänzte. Vielleicht war aber nur die Sonne daran schuld.
    Es war wie im Märchen: Er und ich, wir wurden mit einem zauberhaften Goldfisch belohnt. Er für seinen Glauben an den Erfolg des Unternehmens, ich dafür, dass ich trotz aller Widrigkeiten die Hoffnung nie aufgegeben hatte, etwas Anständiges zu fangen. Für Glaube, Hoffnung und Liebe zum Angeln bekamen wir nun einen goldenen Fisch, der uns alle Wünsche erfüllte. Oder mindestens die wichtigsten drei. Anders als die Goldfische in russischen Märchen sind die Zauberer in den europäischen Geschichten fast alle böse und hinterhältig. Bei den wenigen guten geht es in erster Linie darum, irgendwelche Prinzessinnen aus ihrem ewigen Schlaf mit einem Kuss zu wecken und mit ihnen Kinder zu zeugen. Der deutsche Adel hatte schon immer eine Überproduktion an Prinzessinnen, sodass man kaum noch wusste, wohin mit ihnen. Sie wurden überall in die Welt hinausgeschickt zum Geheiratetwerden. Eine ganze Reihe von ihnen landete dabei in Russland. Die nicht so schönen steckte man ins Kloster, aber trotzdem blieb noch eine erstaunliche Menge übrig. In den Märchen wurden sie eingeschläfert, und die Ritter ritten unermüdlich von Prinzessin zu Prinzessin, immer weiter und weiter.
    In der russischen Folklore findet man selten Prinzessinnen, dafür jede Menge angelnde Iwans. Sie sitzen am Ufer und wissen nicht, wie es weitergehen soll. Und der Märchenerzähler scheint es auch nicht richtig zu wissen. Die Welt ist schlecht, die Männer böse, die Frauen gleichgültig, gierig und kalt. Wie soll man in einer schlechten Welt mit bösen Männern und kalten Frauen nur sein Herz verlieren? Und gibt es in dieser Welt überhaupt Fische? Kaum dass sich der verzweifelte Iwan diese Fragen stellt, schon hat er einen Goldfisch am Haken. Mindestens ein halbes Frühstück, denkt er erleichtert. Und plötzlich fängt der Fisch an, mit ihm zu reden. Er erklärt ihm, es sei alles falsch, woran er als Junge geglaubt habe. Die Welt sei in Wahrheit gut, die Menschen seien barmherzig, die Frauen schön. Es sei egal, ob man arm oder doof sei, Hauptsache frei. Deswegen würde er, der Goldfisch, dem Mann drei Wünsche erfüllen, wenn er ihn zurück ins Wasser werfe. Doch Iwan fiel auf die Schnelle nichts Gescheites ein: Immer wieder warf er den goldenen Zauberfisch ins Wasser und wünschte sich, einen goldenen Zauberfisch zu fangen, der ihm alle Wünsche erfüllen würde. So stehen sie noch heute am Ufer und kommen voneinander nicht los – Fisch wie Iwan, beide vom Zauber des Augenblicks hypnotisiert.
    Ich habe mich als Kind immer sehr über die Dämlichkeit dieses Iwan aufgeregt, dem keine Wünsche einfielen. In meiner Phantasie habe ich in einer solchen Situation mit meinem ersten Wunsch gleich nach hunderttausend weiteren Wünschen gefragt. Für den Fall, dass mir der schlüpfrige Freund geantwortet hätte, dass ein Fisch nur drei Wünsche erfüllen könne, hätte ich mir gleich hunderttausend weitere Goldfische gewünscht. Nur leider kam er mir nie an den Haken, nur dem dummen Iwan aus dem Märchen und diesem realen Iwan, meinem Besuch aus Moskau. Der war aber von dem Fisch offensichtlich enttäuscht. Eine Karausche sagte er, das sei kein richtiger Fisch. Das sei eine Art Haustier wie ein Hund oder eine Katze. Mein Iwan nahm die Karausche trotzdem mit und warf sie in den kleinen Teich direkt vor unserem Haus, einen Kinderspielteich, den noch die ehemaligen Gartenbesitzerinnen Jeanette und Jacqueline mit unbekanntem Zweck angelegt hatten. Wahrscheinlich, um darin Frösche zu züchten.
    Die Karausche
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