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Dieser Sonntag hat's in sich

Dieser Sonntag hat's in sich

Titel: Dieser Sonntag hat's in sich
Autoren: Marcia Muller
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Ich griff nach seiner Schulter und bewegte ihn leicht, um
festzustellen, ob er sprechen konnte.
    Erschrocken erkannte ich, daß ich doch
recht gehabt hatte.
    Da bewegte sich Vicky. Ich riß die
Waffe nach oben, aber sie war nur ins Haus gegangen und hatte einen Schalter
betätigt. Licht fiel von einer Lampe an der Wand auf den Boden. Es erleuchtete
das Gras, den Weg — und die schmerzverzerrten Züge von Jane Wilkonson.
    Vicky kam auf Zehenspitzen näher.
Schaute hinab und fing an zu schreien.
    »Ich dachte, es wäre Gerry«,
wiederholte sie immer wieder. »Ich dachte, ich hätte Gerry getötet!«
     
     
     

27
     
    In der darauffolgenden Verwirrung wäre es
mir fast nicht gelungen, alles das zu erfahren, was ich wissen mußte.
    Nachdem Vicky erkannt hatte, daß sie
eine wildfremde Person und nicht ihren Mann angeschossen hatte, ging sie ins
Haus und hatte einen hysterischen Anfall. Ich prüfte, wie schwer Jane Wilkonson
verletzt war; die Wunde lag ziemlich hoch oben im Schulterbereich, und es
bestand keine unmittelbare Gefahr. Ich deckte sie mit ein paar dicken Mänteln
zu, die ich im Schrank in der Eingangshalle gefunden hatte, ging ins Haus und
machte mich auf die Suche nach einem Telefon.
    Vicky kauerte auf dem Boden zwischen
Couch und Kaffeetisch. Sie hatte die Knie zur Brust hochgezogen, umklammerte
sie mit den Armen und schaukelte weinend hin und her. Ich betrachtete sie und
stellte fest, daß meine Vermutung zutraf: Bei den Flecken auf ihrem Nachthemd
handelte es sich um alten Wein und nicht um Blut. Dann ging ich am Telefon im
Wohnzimmer vorbei und in die Küche.
    Der Raum sah aus wie ein
Kriegsschauplatz, ein häuslicher Kriegsschauplatz. Überall stapelte sich
schmutziges Geschirr, dazwischen standen leere Weinflaschen herum. Aus einem
Papiersack quoll der Müll auf den Boden herab; eine andere Abfalltüte war
umgefallen und zerplatzt; feuchter Kaffeesatz bröselte heraus. Irgendein grünes
Zeug war in den Ausguß gelaufen; an der darüberliegenden Wand klebte ähnlicher
Matsch. Als ich ein Sieb sah, an dem noch die Überreste von Spinat klebten,
brauchte ich nicht viel Phantasie, um mir vorzustellen, daß der Inhalt an die
Wand geschmissen worden war.
    Das Telefon hing neben der Pinwand, die
Gerry bereits erwähnt hatte. Während ich den Notruf wählte, betrachtete ich die
Familienerinnerungen, die hier aufgespießt waren. Ihr Anblick war alles andere
als normal noch beruhigend: Betsy hatte Halloween-Bilder für Papa, Mama und
Rina gemalt und mit »alles Liebe« unterschrieben; das Bild für Rina war
zerrissen, und ein Schnipsel davon lag zu meinen Füßen auf dem Boden.
    Nachdem ich den Krankenwagen angerufen
hatte, wählte ich Gallaghers Nebenstelle bei der Polizei. Er war da — und schrecklich
wütend auf mich.
    »Wo zum Teufel stecken Sie?« wollte er
wissen. »Wir haben Choteau vor etwa vierzig Minuten vor dem Park aufgegriffen.
Und nun sitze ich hier und lese Ihre vage Nachricht, daß Sie ein Geständnis im
Fall Goldring hätten. Und unter der Nummer, die Sie angegeben haben, meldet
sich niemand.«
    »Es tut mir leid, Ben. Aber ich habe
jetzt sogar noch mehr für Sie.« Ich berichtete ihm, was während der letzten
paar Stunden passiert war. Als ich fertig war, schien er etwas besänftigt und
sagte, daß er in ungefähr fünfzehn Minuten hier sei.
    Ich ging nach draußen, um zu sehen, wie
es Jane ging. Sie lag bewußtlos unter den dicken Mänteln, aber ihr Puls war
regelmäßig.
    Gerry traf zur gleichen Zeit wie
Polizei und Krankenwagen ein. Er hatte offensichtlich getrunken und völlig
vergessen, daß er seine Mädchen in der Obhut wildfremder Leute zurückgelassen
hatte. Als er hörte, was passiert war, wurde er schnell wieder nüchtern und
wollte nachsehen, ob er etwas für Vicky tun konnte. Ich beobachtete ihn, wie er
mit hängenden Schultern zögernd zur Tür ging. Er schien um Jahre gealtert. Aber
bevor er eintrat, richtete er sich auf und straffte seine schmalen Schultern.
Gerry war besser, als ich gedacht hatte; die Frau da drinnen hatte versucht,
ihn kaltblütig zu töten, aber er wollte trotzdem versuchen, ihr zu helfen.
    Gallagher erschien, während die
Sanitäter Jane versorgten. Sie kam wieder zu Bewußtsein und erkannte mich. Sie
rief immer wieder nach Miss Hernandez. Ich brauchte eine Weile, bis ich merkte,
daß sie mich meinte.
    Ben nahm mich zur Seite. Er sah völlig
übermüdet aus, und sein Zorn war großenteils verflogen. »Hat sie Wilkonson
getötet?« fragte er und deutete
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