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Dieser eine Moment (German Edition)

Dieser eine Moment (German Edition)

Titel: Dieser eine Moment (German Edition)
Autoren: Christoph Wortberg
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willst du das machen ohne Geld?«
    Er antwortet nicht. Er weiß es nicht. Er lässt das Wohnmobil auf die Tankstelle zurollen, das rostige Statoil -Schild wackelt im Wind. Neonröhren unter dem hölzernen Vordach. Grünlich schimmerndes Licht, unwirklich und fremd. Abblätternde Farbe auf verwittertem Holz. Er hält neben einer der Zapfsäulen, steigt aus.
    Ein Mann kommt aus dem kleinen Kassenhäuschen, er trägt einen Parka mit Fellbesatz.
    »Hei«, sagt er freundlich. »Skal det bli fullt?«
    »Ja«, sagt Jan, obwohl er kein Wort verstanden hat.
    »Diesel eller bensin?«, fragt der Tankwart.
    Jan öffnet die Tankklappe, schraubt den Tankdeckel ab, auf dem Diesel steht.
    »Diesel«, sagt er.
    Der Tankwart lächelt. »Kald«, sagt er, während er den Schlauch in den Tankstutzen einführt und festklemmt.
    »Bitte?«, fragt Jan.
    Die Tanksäule brummt. Die Zahlenreihen der uralten Anzeige beginnen sich zu drehen, die weißen Ziffern sind an den Rändern vom Staub verdreckt.
    Der Tankwart klopft sich auf die Oberarme. Seine Hände verursachen ein schabendes Geräusch auf dem Nylon seines Parkas.
    »Kald«, wiederholt er.
    »Ja«, sagt Jan, »kalt.«
    »Hvor skal du?«, fragt der Mann.
    »Tut mir leid, ich verstehe Sie nicht«, sagt Jan.
    »De fleste turistene skal til Nordkap.« Der Tankwart schlägt sich wieder auf die Oberarme. »Jeg håper du har varme klær. Det er alltid vind og storm.« Er schaut Jan besorgt an.
    Der Feststellmechanismus des Tankschlauchs klickt. Die Ziffern der Anzeige bleiben bei zweiundsiebzig Liter stehen. Der Tankwart zieht den Schlauch aus dem Stutzen und hängt ihn an der Zapfsäule ein.
    »Åttehundreogførti«, sagt er und schraubt den Tankdeckel zu.
    Jan schaut auf die Anzeige. Achthundertvierzig Kronen. Er greift in seine Gesäßtasche, als wolle er sein Portemonnaie zücken. »Einen Moment«, sagt er und deutet auf das Wohnmobil. »Ich hol nur schnell mein Geld.«
    Der Tankwart nickt.
    Jan geht um den Wagen herum, steigt ein, startet den Motor, gibt Gas. Er hasst es zu lügen, er würde am liebsten im Boden versinken. Im Seitenspiegel sieht er den Tankwart, der dem davonfahrenden Wohnmobil fassungslos hinterherstarrt, ehe er zu schreien beginnt und in sein Kassenhäuschen rennt.
    »Er wird die Polizei rufen«, sagt Jan.
    »Glaubst du?«
    »Wir müssen runter von der Straße.«
    Er hält Ausschau nach einer Einmündung, einer Nebenstraße, einem Feldweg. Er hat Glück. Ein paar Kilometer hinter der Tankstelle zweigt ein ungeräumter Weg von der Hauptstraße ab, kaum mehr als die grobstollige Spur eines Traktors im Schnee neben den eingeschneiten Pfosten eines Weidezaunes.
    Jan schaltet die Scheinwerfer aus, die Augen starr gerichtet auf die Reifenspuren im Schnee, die kaum zu erahnen sind in der anbrechenden Nacht. Endlich ein kleines Wäldchen. Im Schutz der Bäume stellt er den Motor ab, lässt das Fenster herunter, lauscht in die Stille. Das Rauschen in den weißen Wipfeln der Tannen, von ferne die Sirene eines Polizeiwagens.
    Er schaut in den Seitenspiegel. Hinter einer Hügelkuppe der Widerschein eines Blaulichtes, der pulsierend über den Schnee streicht. Dann taucht ein Polizeiwagen auf, weiß mit orangefarbenen Streifen, der mit hohem Tempo an der Einmündung vorbeirast. Der Nachhall der Sirene, der zwischen den Bäumen verklingt, dann Stille.
    Jan schaltet die Innenbeleuchtung an, blickt zu Catrin rüber, die in völliger Reglosigkeit auf dem Beifahrersitz hockt, die Augen geschlossen.
    »Ist es vorbei?«, fragt sie.
    »Ja«, sagt er, »ist es.«
    »Sie haben uns nicht erwischt?«
    »Sieht nicht so aus.«
    »Wo sind wir?«
    »Ich habe nicht die geringste Ahnung.«
    »Vielleicht im Paradies«, sagt sie und lächelt.
    »Ja«, sagt er. »Vielleicht.«

28
    Die Nacht ist hereingebrochen, vom Mond ist nichts zu sehen. Sie sitzen am Tisch des Wohnmobils, Jan hat die Lichterkette der Plastiktanne eingeschaltet. Sie essen.
    Im Schrank über der Küchenzeile hat er Konserven gefunden. Erbseneintopf, zwei Dosen Ravioli, ein Glas mit Brühwürstchen. Daneben eine Tüte mit Brot, Steinkruste, geschnitten. Im Kühlschrank ein Paket Butter, ungarische Salami, in Folie eingeschweißter Käse.
    »In zwei Tagen ist Weihnachten«, sagt er.
    »Hast du Angst?«, fragt sie.
    »Ich glaube nicht.«
    »Fragst du dich, was wird?«
    »Du nicht?«
    »Nein«, sagt sie.
    Er muss an seine Eltern denken, an Maja, er sieht sie Frösche fangen mit ihrem Kescher im Uferschilf der Schlei.
    »Ist es dir egal?«,
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