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Dieser eine Moment (German Edition)

Dieser eine Moment (German Edition)

Titel: Dieser eine Moment (German Edition)
Autoren: Christoph Wortberg
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Motorblock verdampft. Dann breitet sich Stille aus, schluckt das Donnern des Gewitters, überdeckt das Peitschen des Regens, das Rauschen der Bäume, das Schlagen seines Herzens.
    Er begreift, dass die Lichter ihn verfehlt haben. Die Augen auf den nassen Asphalt unter sich gerichtet, lauscht er in dieses unheimliche Nichts. Seine Knie brennen. Er muss sie sich bei seinem Sturz aufgeschürft haben, genau wie die Innenfläche seiner rechten Hand. Der Wind trägt den Gestank verbrannten Gummis herüber. Der Regen überzieht seinen Rücken mit Kälte.
    Er sieht sich von oben, auf allen vieren kniend, zwischen den Alleebäumen einer regennassen Landstraße, unter einem von der Dämmerung besiegten, bleigrauen Gewitterhimmel, die linke Hand wie festgewachsen am Lenker seines Fahrrads, dessen Hinterrad sich noch immer dreht. Er sieht sich von oben, während sich dieser Augenblick in ihn hineinfrisst wie Säure, ein Albtraum aus verlorenem Glück und aus Blut.
    Mühsam hebt er den Kopf. Das Auto klebt am Stamm eines Alleebaumes, ein Wrack aus verbogenem Blech und zerborstenem Glas. Ein junger Mann stößt die verbeulte Fahrertür auf und taumelt im Licht der noch immer brennenden Scheinwerfer hinaus auf die Straße, ohne jede Orientierung. Sein Kopf ist blutüberströmt, Glassplitter rieseln wie Schnee von seinem Körper auf den Asphalt. Er schaut hinauf in den Himmel, ringt nach Luft. Der Regen prasselt auf ihn nieder, vermischt sich mit dem Blut in seinem Gesicht, er fährt sich über die Stirn, starrt auf die roten Schlieren in seiner Hand. Bis er Jan bemerkt, der noch immer auf allen vieren neben seinem Fahrrad kniet.
    Regungslos starren die beiden sich an, dann wankt der Mann auf ihn zu, die Hände nach ihm ausgestreckt, den rechten Fuß merkwürdig verdreht. Doch noch bevor er Jan erreicht hat, bleibt er unvermittelt stehen, wendet sich jäh den Trümmern des Autos zu. Sein Mund zuckt.
    »Catrin!« Zwei Silben, ein Name. In dem Auto muss sich noch jemand befinden, ein Mädchen vielleicht oder eine Frau, die Freundin des Mannes oder sein Kind.
    Der Mann wartet auf Antwort, aber die bleibt aus. Und je länger sie ausbleibt, desto mehr wächst in Jan das Verlangen zu fliehen. Oder ist es nur der verlorene Blick des Mannes, der ihn sein Fahrrad hochreißen und loslaufen lässt?
    »Bleib stehen, du Scheißkerl«, schreit der Mann, »du sollst stehen bleiben!«
    Aber Jan hat sich längst in den schwarzen Schleiern des Regens aufgelöst.

2
    Er steht in der dunklen Diele, in einer Pfütze aus Regenwasser, seine Kleidung wie festgeklebt an seinem zitternden Körper. Er friert, aber das ist ihm egal. Durch das Reliefglas der Haustür fällt die Nacht herein, malt Ornamente an die Wand. Er schaut in den goldgerahmten Spiegel, in dem sich die Konturen seines Körpers bläulich abzeichnen, ein Schattenriss aus Verzweiflung und Angst. Das Haus ist leer, die Stille zerdrückt ihn.
    Am Nachmittag sind seine Eltern mit Maja auf den Campingplatz an die Schlei gefahren, wo sie seit Jahren in ihrem Wohnwagen die Wochenenden verbringen. Er hätte mitfahren sollen, so wie immer. Er wollte gerade den Korb mit der Holzkohle und dem Grillfleisch raustragen, als das Telefon klingelte ...
    »Wo bleibt ihr denn?«, ruft sein Vater, der schon im Wagen sitzt, einen Fuß in der geöffneten Fahrertür, eine Hand am Sendersuchlauf des Autoradios.
    »Lass es klingeln«, sagt seine Mutter, »Papa will los.«
    »Frösche fangen, Frösche fangen ...« Maja tanzt um ihn herum, in der Hand ihren neuen Kescher.
    »Nur eine Sekunde«, sagt er, reicht seiner Mutter den Korb und nimmt den Hörer ab. Es ist Laura.
    »Lust, schwimmen zu gehen?«
    Er schaut rüber zum Wagen. Sein Vater trommelt mit den Händen auf das Lenkrad, während er dem Verkehrsfunk lauscht. Seine Mutter verstaut die Lebensmittel im Kofferraum.
    »Komm, kleine Maus«, sagt sie zu Maja, die singend auf den Rücksitz klettert.
    »Frösche fangen, Frösche fangen ...«
    »Bist du noch dran?«, fragt Laura.
    »Ja«, sagt er.
    »Und? Kommst du jetzt mit oder nicht?«
    Da ist dieser Unterton in ihrer Stimme. Das, was sie nicht sagt. Sie will, dass es passiert. Und sie will, dass er das weiß.
    »Klar komm ich mit«, sagt er. Die Bestätigung eines unausgesprochenen Versprechens. Als er auflegt, zittern seine Hände.
    »Wer war denn dran?«, fragt seine Mutter.
    »Falsch verbunden«, sagt er.
    »Einsteigen!«, fordert Maja, aber er rührt sich nicht. Sein Herz schlägt ihm bis zum Hals.
    »Worauf
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