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Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman
Autoren: Richard Russo
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aus ihrem schlechten Timing zu machen, und so stürzten sie sich in Lehre und Forschung und Kommissionsarbeit, in der Hoffnung, ihre Lebensläufe zu unterfüttern, damit sie bereit wären, wenn der akademische Wind umschlug. Sie fürchteten, dass es für Princeton und Dartmouth endgültig zu spät war, aber damit blieben noch die Swartmores und Vassars dieser Welt als sichere, wenn auch nicht furchtbar aufregende Häfen. Das wenigstens stand ihnen doch wohl zu. Und tatsächlich hatten sie, bevor sie dann feste (oder vielmehr, wie sie es nannten, »lebenslängliche«) Professuren im Scheiß-Mittelwesten annahmen, Angebote bekommen – sie in Amherst, er in Bowdoin –, aber immer nur einzeln, nie gemeinsam. So verharrten sie also auf ihren Posten und in ihrer Ehe, stets in der Angst, wie Griffin inzwischen vermutete, der andere könnte, wäre er dieser Fesseln ledig, fliehen und die Art von akademischer Position (einen mit Stiftungsgeldern finanzierten Lehrstuhl!) erlangen, die das Unglück des verlassenen Partners vollkommen machen würde. Um diese unglücklichen Lebensumstände erträglicher zu machen, hatten beide Affären und taten, als wären sie zutiefst verletzt, wenn diese ans Licht kamen. Sein Vater war ein echter Serienseitenspringer gewesen, während seine Mutter sich lediglich weder in diesem noch in irgendeinem anderen Punkt hatte übertreffen lassen wollen.
    Als Kind und unfreiwilliger Zeuge der zahllosen Zankereien seiner Eltern hatte Griffin gedacht, er sei der Grund, warum sie zusammenblieben. Es war seine Mutter, die ihn schließlich von dieser bizarren Vorstellung befreite. Übrigens auf der Hochzeit von ihm und Joy. Bis dahin hatten sich die beiden endlich scheiden lassen – auch Gehässigkeit hielt offenbar nicht ewig –, und seine Mutter hatte das Wettrennen zur Wiederverheiratung knapp gewonnen. In einer ökumenischen Anwandlung hatte sie sich außerhalb des Lehrstuhls für Englisch nach ihrem zweiten Mann umgesehen, einem Philosophieprofessor namens Bart, den sie binnen Kurzem in »Bartleby« umtaufte. Während des Empfangs hatte sie Griffin, schon etwas angetrunken, versichert: »Du lieber Himmel, nein, das warst nicht du . Was uns zusammengehalten hat, war der Zauber von Cape Cod. ›That Old Cape Magic‹ – weißt du noch, wie wir das jedes Jahr auf der Sagamore gesungen haben?« Sie hatte sich an Bartleby gewandt. »Ein herrlicher Monat, jeden Sommer. Sonne. Sand. Wasser. Gin. Gefolgt von elf Monaten Elend.« Dann wieder zu Griffin: »Aber das gilt für die meisten Ehen, wie du wohl feststellen wirst.« Der letzte Halbsatz sollte natürlich vermitteln, dass seine eigene Ehearithmetik in ihren Augen etwa genauso aussehen würde. Einen Augenblick lang schien es, als wollte Bartleby eine eigene Meinung äußern, doch dann entschloss er sich offenbar, es lieber nicht zu tun und nur bedeutungsvoll zu seufzen.
    Griffin war im Begriff, etwas zu antworten, als sein Vater mit Claudia, seiner ehemaligen Studentin und neuen Frau, zurückkehrte. Die beiden waren nach der Trauung kurz verschwunden, um zu streiten oder zu vögeln – Griffin wusste es nicht. »Ich schwöre bei Gott«, sagte seine Mutter, »wenn er diesem Miezlein ein Haus auf dem Cape – und ich meine irgendwo auf dem Cape – kauft, werde ich ihn umbringen müssen.« Bei diesem angenehmen Gedanken hellte ihr Gesicht sich auf. »Da könntest du dich als nützlich erweisen«, sagte sie zu Bartleby und wandte sich dann wieder an Griffin. »Dein Stiefvater sammelt Geschichten über Mordfälle in verschlossenen Räumen. Tod durch Curare und so weiter. Da fällt dir doch bestimmt was ein, oder? Du musst es nur so einrichten, dass ich für alle im Wohnzimmer gut zu sehen bin, wenn die fette Kuh umfällt und sich in unaussprechlichen Schmerzen windet.« Sie wusste natürlich genau, dass Griffins Vater nicht das Geld hatte, um Claudia (die eher mollig als fett war) oder irgendjemand anderem ein Haus auf dem Cape zu kaufen. Dafür hatte sie mit einer Scheidungsvereinbarung gesorgt, die ihm das Fell über die Ohren gezogen hatte, doch allein schon die Möglichkeit – etwa ein Lottogewinn? – bereitete ihr offenbar Sorgen.
    Griffin war jetzt fünfundfünfzig, etwa so alt wie seine Eltern waren, als er und Joy geheiratet hatten, und die Namen der Orte auf dem Cape hatten noch immer etwas Verzauberndes: Falmouth, Woods Hole, Barnstable, Dennis, Orleans, Harwich. Sie machten ihn wieder zu einem Jungen und setzten ihn auf den Rücksitz des
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