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Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman
Autoren: Richard Russo
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Vater gern, waren Immobilienmakler erstaunlich unromantisch – wie Croupiers in einem der Casinos von Las Vegas.
    Die Rückfahrt in den Scheiß-Mittelwesten war immer brutal. Seine Eltern sprachen kaum miteinander, als wären ihnen plötzlich die Seitensprünge des vergangenen Jahres wieder eingefallen oder als dächten sie darüber nach, mit wem sie es in diesem Jahr treiben sollten. Bei Griffins Eltern standen Immobilien auf der Skala der Leidenschaften deutlich höher als Sex.
    Griffin beschloss, der Route 6 bis Provincetown zu folgen, dort ein spätes Frühstück einzunehmen und dann auf der gewundenen 28 zum anderen Ende des Capes zu fahren. Er fragte sich, ob diese Straße noch immer von Flohmärkten gesäumt sein würde wie in seiner Kindheit. Sein Vater, ein überzeugter Anhänger der Demokraten und eifriger Sammler von Wahlkampfbuttons, konnte nie an einem vorbeifahren, ohne anzuhalten und nachzusehen, ob er nicht vielleicht tief in irgendeiner Pappschachtel einen alten Wendell-Wilkie-Anstecker fand, dessen wahren Wert sein Besitzer nicht kannte. Buttons und Aufkleber der Republikaner waren eine weitere verbotene Freude. »Alle Freuden deines Vaters sind verboten«, behauptete seine Mutter, »und das mit Recht.« Auf der Route 28 würde Griffin natürlich doppelt so lange brauchen, aber er hatte es ja nicht eilig. Joy würde erst am Abend, wahrscheinlich am späten Abend, kommen, und je früher er in der Frühstückspension eintraf, wo sie ein Zimmer reserviert hatte, desto früher würde er sich verpflichtet fühlen, den Kofferraum des Cabrios zu öffnen, der nicht nur seinen Koffer und die prall gefüllte Aktentasche enthielt, sondern auch eine Urne mit der Asche seines Vaters, die er an diesem Wochenende versprochen hatte zu verstreuen. Er war sich nicht sicher, ob es erlaubt war, kremierte mittelwestliche Akademiker an der Küste von Massachusetts zu entsorgen, und hätte gern Joy zur moralischen Unterstützung (und zum Schmierestehen) dabeigehabt. Aber wenn er zufällig eine hübsche, ruhige, abgelegene Stelle fand, würde er es vielleicht auch allein tun. Verdammt, vielleicht würde er die Portfolios gleich hinterherwerfen – der Gedanke ließ ihn lächeln.
    Am Horizont erschien gerade das Pilgrim Monument, als sein Handy im Getränkehalter vibrierte. Er fuhr auf den Seitenstreifen, um den Anruf anzunehmen. Seit dem Tod seines Vaters vor neun Monaten hatte er mehrere kleine, aber teure Blechschäden gehabt, und so erschien es ihm sicherer, anzuhalten, anstatt zu fahren und gleichzeitig zu telefonieren, auch wenn der Seitenstreifen schmaler war, als er gehofft hatte. Ein Lastwagen donnerte bedrohlich nah vorbei, aber danach kam kein Fahrzeug mehr. Er würde sich eben kurz fassen müssen.
    Er nahm an, dass es Joy war, die ihn um diese Zeit anrief, doch er täuschte sich. »Wo bist  du?«, wollte seine Mutter wissen. In letzter Zeit machte sie sich nicht mehr die Mühe, ihn zu begrüßen oder ihren Namen zu sagen. Ihrer Meinung nach hatte er gefälligst zu wissen, wer da am Apparat war, und da sie stets verärgert klang und auf jede Einleitung verzichtete, wusste er es meist auch.
    »Mom«, sagte er, keineswegs darauf erpicht, seinen gegenwärtigen Aufenthaltsort zu offenbaren. »Ich hab gerade an dich gedacht.« Eine einzelne Möwe, die vielleicht glaubte, er habe angehalten, um etwas zu essen, kreiste über ihm und stieß einen durchdringenden Schrei aus. »Eigentlich an euch beide, dich und Dad.«
    »Ach«, sagte sie, »an ihn.«
    »Soll ich nicht an Dad denken?«
    »Denk doch, an wen du willst«, sagte sie. »Wann hab ich je versucht, in deinen Gedanken herumzuschnüffeln? Dein Vater und ich waren uns vielleicht über nicht viel einig, aber wir haben deine intellektuelle und emotionale Privatsphäre immer respektiert.«
    Griffin seufzte. Inzwischen kam seine Mutter selbst bei seinen freundlichsten Bemerkungen in Fahrt, und dann war es das Beste, sie einfach ausreden zu lassen. Ihr angeblicher Respekt vor seiner Privatsphäre war, wie er nur zu gut wusste, in erster Linie Desinteresse gewesen, aber es lohnte nicht, sich darüber zu streiten.
    »Ich mache mir meine eigenen Gedanken, darauf kannst du dich verlassen«, fuhr sie fort und deutete, wenn er sich nicht täuschte, an, dass er lieber gar nicht wissen wollte, wie diese aussahen. »Und die reichen mir voll und ganz. Ich kann mir nicht vorstellen, wieso dein Vater in deinen Gedanken vorkommen sollte, aber wenn er es tut, will ich mich nicht
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