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Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman
Autoren: Richard Russo
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einmischen.«
    Die kreisende Möwe schrie abermals, diesmal noch lauter, und Griffin deckte das Mikrofon kurz mit der Hand ab. »Rufst du aus einem bestimmten Grund an, Mom?«
    Doch sie musste den blöden Vogel gehört haben, denn sie sagte mit einer Stimme, die von Missmut und Vorwürfen nur so triefte: »Bist du etwa auf dem Cape ?«
    »Ja, Mom«, gestand er. »Wir sind hier morgen zu einer Hochzeit eingeladen. Warum? Sollte ich dir Bescheid gesagt haben? Dich um Erlaubnis gebeten haben?«
    »Wo?«, fragte sie. »In welchem Teil?«
    »In der Nähe von Falmouth«, konnte er zu seiner Erleichterung antworten. Das obere Ende des Capes war in ihren Augen ausschließlich für Leute, die es nicht besser wussten. Ebenso gut konnte man in Buzzards Bay wohnen, Gokart fahren, Minigolf spielen, mit Mehl gebundene Muschelsuppe essen und eine Red-Sox-Mütze tragen.
    »Eine Hochzeit«, knurrte sie. Offenbar war das, was er gesagt hatte, gerade erst zu ihr durchgedrungen. »Wie töricht.«
    »Du warst doch selbst zweimal verheiratet, Mom.«
    Als Bartleby vor einigen Jahren gestorben war, hatte sie gehofft, es könnte etwas für sie herausspringen, vielleicht wenigstens genug, um ein Häuschen in der Nähe der Dennisses zu kaufen. Doch eine unwiderrufliche Treuhandverfügung ermöglichte es seinen gierigen Kindern, alles unter sich aufzuteilen, was sie dann auch schamlos getan hatten.
    Eines von ihnen hatte die Stirn gehabt, zu ihr zu sagen: »Du hast unserem Vater seine letzten Jahre zur Hölle gemacht.« Worauf sie Griffin gefragt hatte: »Hast du je einen solchen Unsinn gehört? Haben die diesen Mann überhaupt gekannt ? Glauben die vielleicht, er ist je glücklich gewesen? Gab es jemals einen Philosophen, der nicht  verdrießlich und deprimiert war?«
    »Die Braut ist Kelsey«, sagte Griffin. »Aus L.A. , du erinnerst dich?«
    »Warum sollte ich eure Freundinnen aus Kalifornien kennen?« Das war keine unschuldige Frage. Sie gab es nicht zu, aber sie war noch immer verärgert, weil er und Joy und dann Laura jahrelang an der Westküste gelebt hatten, außerhalb ihres Gravitationsfeldes. Und dass er Drehbücher schrieb, hatte sie immer als einen Verrat an seinen ererbten Begabungen betrachtet.
    »Nicht unsere Freundin. Lauras Freundin.« Obgleich es, wenn er darüber nachdachte, durchaus möglich war, dass die beiden sich nie begegnet waren. Griffins Grundsatz war schon immer gewesen, weder seine Frau noch seine Tochter mit seinen Eltern zu behelligen – Laura hatte ihre Großmutter eigentlich erst kennengelernt, als die Familie zurück in den Osten gezogen war.
    »Wie sieht es aus?«
    »Wie sieht was aus?«
    »Das Cape. Du hast mir doch gerade gesagt, du bist auf dem Cape, also frage ich dich, wie es da aussieht.«
    »Wie immer wahrscheinlich«, sagte er und hatte nicht vor, ihr zu verraten, dass sein Herz beim Anblick der Sagamore Bridge schneller geschlagen hatte und dass er noch immer etwas liebte, das sie und ihr verhasster Mann ebenfalls liebten.
    »Wie ich höre, ist es inzwischen viel zu überlaufen. Ich glaube, wir haben es in der besten Zeit erlebt. Du und ich und der Mann, der in deinen Gedanken vorkommt.«
    »Weswegen rufst du noch mal an, Mom?«
    »Na gut«, sagte sie, »wechseln wir das Thema. Du musst mir ein paar Bücher bringen, die Titel schicke ich dir per E-Mail. Du wirst mich doch irgendwann mal besuchen? Oder ist es damit jetzt vorbei?«
    »Sind das Bücher, die ich irgendwo auftreiben kann? Sind sie zum Beispiel lieferbar, oder schickst du mich wieder mal umsonst los?« Seit Bartlebys Tod war Griffin der Mann im Leben seiner Mutter geworden, und nichts bereitete ihr mehr Vergnügen, als ihn vor unmögliche Aufgaben, vorzugsweise akademischer Art, zu stellen, die er mit Leichtigkeit hätte lösen können, wenn er nur den Weg eingeschlagen hätte, den sie ihm vorgezeichnet hatte, anstatt das zu tun, was er selbst sich in den Kopf gesetzt hatte.
    »Wenn du etwas nicht finden kannst, um das ich dich gebeten habe, heißt das doch nicht, dass ich dich umsonst losgeschickt habe. Du gehörst zu einer Generation, die nicht mal die Grundlagen der Kunst des Recherchierens gelernt hat und sogar mit einem Kartenkatalog überfordert ist.«
    »Die gibt’s gar nicht mehr«, sagte er, nur um zu hören, wie sie erschauerte.
    Doch das verkniff sie sich. »Du denkst, recherchieren heißt, dass man ein Wort bei Google eingibt und ›Suche‹ drückt.«
    Es war etwas Wahres daran, das musste er zugeben. Als er noch
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