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Die zweite Haut

Die zweite Haut

Titel: Die zweite Haut
Autoren: Dean R. Koontz
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dreiunddreißig und hatte noch nie einen Unfall. Makelloses Führungszeugnis. Kein einziger Strafzettel. Bin noch nie von einem Polizisten angehalten worden.«
    »Weil sie dich nicht fangen können«, sagte Mom.
    »Genau.«
    Auf dem Rücksitz grinsten Charlotte und Emily sich an.
    Solange sich Charlotte erinnern konnte, führten ihre Eltern solche scherzhaften Unterhaltungen über seinen Fahrstil, obwohl es ihrer Mutter ernst damit war, daß er langsamer fahren sollte.
    »Nicht einmal einen Strafzettel wegen falschem Parken«, sagte Daddy.
    »Nun, es ist auch nicht leicht, einen Strafzettel wegen Falschparken zu bekommen, wenn die Tachonadel immer am oberen Anschlag klebt.«
    Früher war ihr Geplänkel immer heiter gewesen. Aber jetzt fuhr er Mom plötzlich barsch an: »Um Gottes willen, Paige, ich bin ein guter Fahrer, dies ist ein sicheres Auto, ich habe mehr Geld dafür ausgegeben, als ich sollte, weil es eines der sichersten Fahrzeuge auf der Straße ist, also könntest du bitte einfach Ruhe geben?«
    »Klar. Tut mir leid«, sagte Mom.
    Charlotte sah ihre Schwester an. Em hatte vor Fassungslosigkeit die Augen aufgerissen.
    Daddy war nicht Daddy. Etwas stimmte nicht. Total nicht.
    Sie waren erst einen Block weiter gefahren, da bremste er, sah Mom an und sagte: »Tut mir leid.«
    »Nein, du hast recht, in manchen Dingen bin ich einfach zu zimperlich«, erklärte Mom ihm.
    Sie lächelten einander an. Es war wieder gut. Sie würden sich nicht scheiden lassen, wie die Leute, von denen sie beim Essen gesprochen hatten. Charlotte konnte sich nicht erinnern, daß sie einmal länger als ein paar Minuten miteinander böse gewesen wären.
    Aber sie machte sich trotzdem noch Sorgen. Vielleicht sollte sie doch im Haus oder draußen hinter der Garage nachsehen, ob sie irgendwo eine gigantische Samenkapsel aus dem Weltraum finden konnte.

4
    Der Killer fährt wie ein Hai, der durch die kalten Strömungen eines nächtlichen Meers schwimmt.
    Er ist zum ersten Mal in Kansas City, kennt aber die Straßen. Völlige Beherrschung des Stadtplans gehört zu seinen Vorbereitungen bei jedem Auftrag, falls er von der Polizei verfolgt wird und eine hastige Flucht unter Zeitdruck bewerkstelligen muß.
    Seltsamerweise kann er sich nicht erinnern, daß er eine Karte gesehen – geschweige denn studiert – hat, und er kann sich nicht vorstellen, woher er diese detaillierten Informationen haben könnte. Aber er denkt nicht gerne über Löcher in seinen Erinnerungen nach, weil das die Tür zu einem schwarzen Abgrund öffnet, der ihm angst macht.
    Daher fährt er einfach nur.
    Normalerweise macht ihm das Fahren Spaß. Aber hin und wieder, so wie jetzt, fühlt er sich durch die Bewegungen des Autos und den Anblick einer fremden Stadt – so vertraut er auch mit dem Stadtplan sein mag – winzig, allein, entwurzelt. Sein Herz fängt schnell an zu schlagen. Plötzlich sind seine Handflächen so feucht, daß sie am Lenkrad abrutschen.
    Als er vor einer Ampel bremst, sieht er das Auto in der Spur neben sich und erkennt eine Familie im Licht der Straßenlaternen. Der Vater fährt. Die Mutter sitzt auf dem Beifahrersitz, eine attraktive Frau. Ein etwa zehnjähriger Junge und ein sechs- oder siebenjähriges Mädchen sind auf dem Rücksitz. Auf dem Nachhauseweg von einem Abend in der Stadt. Möglicherweise im Kino. Sie unterhalten sich, lachen, Eltern und Kinder gemeinsam, vereint.
    In seiner niedergeschlagenen Verfassung ist dieser Anblick ein gnadenloser Hammerschlag, und er stößt einen dünnen, wortlosen Klagelaut aus.
    Er fährt von der Straße ab auf den Parkplatz eines italienischen Restaurants. Sackt in seinem Sitz zusammen. Atmet kurz und abgehackt.
    Die Leere. Ihm graut vor der Leere.
    Und jetzt hat sie ihn eingeholt.
    Er fühlt sich, als wäre er ein hohler Mann aus hauchdünnem geblasenem Glas, zerbrechlich, kaum substantieller als ein Gespenst.
    In solchen Augenblicken braucht er verzweifelt einen Spiegel. Sein Spiegelbild gehört zu den wenigen Dingen, die seine Existenz bestätigen können.
    Das auffällige rot-grüne Neonschild des Restaurants beleuchtet das Innere des Ford. Als er den Rückspiegel kippt, um sich selbst zu betrachten, hat seine Haut das Aussehen einer Leiche, und in seinen Augen lodern wechselnde scharlachrote Schatten, als würde ein Feuer in seinem Innersten brennen.
    Heute abend genügt sein Spiegelbild jedoch nicht, seine Erregung zu lindern. Er fühlt sich mit jedem verrinnenden Augenblick substanzloser. Vielleicht
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