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Die zweite Haut

Die zweite Haut

Titel: Die zweite Haut
Autoren: Dean R. Koontz
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verkrampft. Er saß steif da, als balancierte er Eier auf dem Kopf … oder als rechnete er damit, daß er jeden Moment von jemand oder etwas geschlagen werden würde. Er lächelte nicht so bereitwillig und oft wie sonst, und wenn er doch lächelte, schien er nur so zu tun.
    Bevor er mit dem Auto rückwärts aus der Einfahrt stieß, drehte er sich um und sah nach Charlotte und Emily, ob diese auch die Sicherheitsgurte angelegt hatten, aber er sagte nicht »die Stillwater-Rakete zum Mars startet jetzt durch« oder »wenn ich die Kurven zu schnell nehme und ihr euch übergeben müßt, dann tut das bitte anständigerweise in eure Jackentaschen und nicht auf meine schönen Polster« oder »wenn wir so schnell rasen, daß wir in der Zeit rückwärts reisen, dann ärgert die Dinosaurier nicht« oder andere dumme Sachen, die er sonst immer sagte.
    Charlotte merkte das und war beunruhigt.
    Das Restaurant, Islands, hatte gute Hamburger, tolle Fritten – die man auch knusprig bestellen konnte –, Salate und weiche Tacos. Sandwiches und Pommes frites wurden in Körbchen serviert, das Ambiente war karibisch.
    »Ambiente« war ein neues Wort für Charlotte. Sein Klang gefiel ihr so gut, daß sie es bei jeder sich bietenden Gelegenheit an den Mann brachte, auch wenn Emily – das hoffnungslose Kind – jedesmal verwirrt war und sagte: »Was für eine Ente? Ich sehe keine Ente«, wenn Charlotte das Wort benutzte. Siebenjährige konnten rechte Quälgeister sein. Charlotte war zehn – oder würde es in sechs Wochen werden –, und Emily war im Oktober erst sieben geworden. Em war eine gute Schwester, aber natürlich waren Siebenjährige einfach so … so siebenjährig.
    Wie auch immer, das Ambiente war tropisch: bunte Farben, Bambus an der Decke, Holzrollos und jede Menge Topfpalmen. Kellner und Kellnerinnen trugen kurze Hosen und grelle Hawaiihemden.
    Das Lokal erinnerte sie an die Musik von Jimmy Buffett, die ihre Eltern liebten, die Charlotte aber ganz und gar nicht kapierte. Zumindest war das Ambiente echt cool , und die Pommes waren die besten.
    Sie setzten sich in eine Nische in der Nichtraucherabteilung, wo das Ambiente sogar noch schöner war. Ihre Eltern bestellten Corona, das in gefrosteten Krügen serviert wurde. Charlotte trank eine Cola, Emily bestellte Wurzelbier.
    »Wurzelbier ist was für Erwachsene«, sagte Em. Sie deutete auf Charlottes Cola. »Wann hörst du endlich auf, solches Kinderzeug zu trinken?«
    Em war überzeugt, daß Wurzelbier genausoviel Alkohol wie richtiges Bier enthielt. Manchmal tat sie nach zwei Gläsern so, als wäre sie betrunken, was albern und peinlich war. Wenn Em die torkelnde, rülpsende Betrunkene spielte und Fremde sich nach ihr umdrehten, erklärte Charlotte ihnen, daß Em erst sieben war. Alle hatten Verständnis – was konnte man von einer Siebenjährigen schon anderes erwarten? –, aber es war trotzdem peinlich.
    Als die Kellnerin das Essen brachte, unterhielten sich Mom und Dad über Leute aus ihrem Bekanntenkreis, die sich scheiden ließen – langweilige Erwachsenengespräche, die jedes Ambiente rasch ruinieren konnten, wenn man ihnen zuhörte. Und Em schichtete Pommes frites zu seltsamen kleinen Stapeln auf, wie Miniaturversionen moderner Skulpturen, die sie letzten Sommer in einem Museum gesehen hatten; sie schenkte dem Projekt ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.
    Da alle abgelenkt waren, öffnete Charlotte den Reißverschluß der tiefsten Tasche ihrer Jeansjacke, holte Fred heraus und setzte ihn auf den Tisch.
    Er saß regungslos unter seinem Panzer, hatte die Stummelbeine und den Kopf eingezogen und war so groß und rund wie eine Herrenarmbanduhr. Schließlich ließ er die kleine, schnabelähnliche Schnauze sehen. Er schnupperte vorsichtig in der Luft, dann steckte er den Kopf ganz aus der Festung heraus, die er auf dem Rücken herumschleppte. Seine dunklen, glänzenden Schildkrötenaugen betrachteten seine neue Umgebung mit größtem Interesse, und Charlotte dachte sich, daß ihn das Ambiente in Erstaunen versetzen mußte.
    »Bleib bei mir, Fred«, flüsterte sie, »und ich zeige dir Orte, die keine Schildkröte vor dir gesehen hat.«
    Sie sah zu ihren Eltern. Die waren immer noch miteinander beschäftigt und hatten nicht bemerkt, wie sie Fred aus der Tasche geholt hatte. Jetzt konnten sie ihn hinter einem Körbchen mit Pommes nicht sehen.
    Zu ihren Pommes frites aß Charlotte weiche Tacos mit Geflügelfüllung, aus denen sie jetzt ein Salatblatt herauszog. Die Schildkröte
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