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Die Zuckerbäckerin

Die Zuckerbäckerin

Titel: Die Zuckerbäckerin
Autoren: Petra Durst-Benning
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ich ihn gewunden,
wie du in Hungerstagen sie gespendet,
ja, gleich der Ceres Kranz flocht ich diesen,
Volksmutter, Nährerin, sei mir gepriesen! 1
    Die Worte stammten aus der Feder Ludwig Unlands. Wie sehr hatte Katharina den Dichter bewundert! Immer wieder hatte sie bei Feierlichkeiten seine Verse vortragen lassen. Zum ersten Mal seit vielen Wochen huschte nun ein Lächeln über Eleonores Gesicht. Dieses wunderschöne Gedicht, das so tröstlich anmutete, war Unlands Dank an Katharina.
    Auch Eleonore war gekommen, um Dank zu sagen. Wie hatte sich ihr Leben verändert, seit sie der Königin vor dreiJahren zum ersten Mal begegnet war! Eigentlich war es ja ihre Schwester gewesen, die die Königin angesprochen hatte. Sie hatte das Bild noch vor Augen, als sei alles erst gestern gewesen: Mit zerrissenem Leibchen, barfuß, als Räuberin entlarvt, hatte Sonia sich der Königin zu Füßen geworfen und um Erbarmen gefleht. Und Katharina hatte sich ihrer erbarmt, weiß Gott!
    Seltsam, daß sie ihr eigen Fleisch und Blut weniger vermißte als die Königin. Mochte sie auch die genauen Umstände nicht kennen und wohl nie erfahren – in ihrem Herzen wußte sie, daß Sonia die Mitschuld trug am Tod der Königin. Durch ein schmutziges Spiel, einen jämmerlichen, selbstsüchtigen Verrat. In dem Sonia sie, Eleonore, sogar zur Helfershelferin gemacht hatte! Wieder erschauderte sie. Daß Sonia selbst bitter für ihre Sünden hatte bezahlen müssen, war in ihren Augen nur gerecht. Sie konnte bei dem Gedanken an ihre Schwester kein Mitgefühl mehr aufbringen. Was einst an Sorge und Verständnis für Sonia in ihrem Herzen vorhanden gewesen war, war aufgezehrt. Statt dessen klaffte dort eine tiefe, schmerzende Wunde.
    Schluß damit! Sie wollte jetzt nicht an Sonia denken!
    Ihr Blick fiel auf das Bündel Gepäck, in dem all ihre Habseligkeiten verstaut waren. Zum ersten Mal seit vielen Stunden gestattete sie es sich, tief Luft zu holen. Wahrscheinlich hatte alles so kommen müssen. Das Leben ließ sich nicht aufhalten und der Tod auch nicht. Dann kniete sie nieder.
    Es war an der Zeit, Abschied zu nehmen.

– Die Geschichte –
    Stuttgart, Württemberg, im Herbst 1816
    Â»Ich muß geizen mit der Zeit, das Ende kann frühe herbeikommen.«
    K ATHARINA VON W ÜRTTEMBERG

1
    V erstohlen schaute Eleonore sich um. Sie hatte das Gefühl, als sei ihr Herzschlag über das ganze Marktgetümmel hinweg für jedermann zu hören. Sie atmete tief durch, doch nichts auf der Welt hätte es in diesem Augenblick vermocht, die Spannung in ihrer Brust zu lösen.
    Â»Was wir vorhaben, ist der blanke Wahnsinn! Sonia! Ich flehe dich ein letztes Mal an: Laß uns verschwinden! Noch haben wir Zeit!«
    Mit angezogenen Knien, den Rücken an die alte Friedhofsmauer gelehnt, kauerte Sonia neben ihr, den Kopf in scheinbarer Erschöpfung auf den Knien abgestützt.
    Als keine Antwort kam, rüttelte Eleonore am Arm ihrer Schwester. Wie konnte sie nur hier und jetzt eindösen?
    Nach außen hin immer noch den Anschein schläfriger Gleichmütigkeit erweckend, drehte Sonia ihr endlich den Kopf zu. Ein Blick in ihre Augen verriet Eleonore, daß sie hellwach war.
    Â»Halt endlich deinen Mund, du feige Nuß«, zischte sie Eleonore zu. »Wenn’s nach dir ginge, würden wir heute wieder mit knurrendem Bauch schlafen gehen! Dazu habe ich jedoch keine Lust! Mir ist schon ganz schwindlig vor lauter Hunger.« Voller Selbstmitleid blickte Sonia an ihren viel zu weiten Röcken hinab, durch die sich ihre mageren Knie wie zwei spitze Keile bohrten.
    Für einen Augenblick war Eleonore versucht, ihrenWiderstand aufzugeben. Auch sie hatte Hunger. Beinahe unerträglichen Hunger. Doch den ganzen Tag darüber zu jammern wie Sonia nutzte niemandem etwas. Jeder hatte Hunger. Das ganze Land hungerte. Doch niemand tat dies so laut und heftig wie Sonia. Eleonore seufzte. Vielleicht konnte Sonia das beißende Gefühl in ihrem Körper wirklich schlechter ertragen als andere. Hilflos suchte sie nach ein paar tröstenden Worten, als die Schwester sie erneut anfauchte:
    Â»Außerdem – wo hast du deinen Schneid gelassen? Denk an unsere Mutter! Die hätte nie gekniffen!« Ihre dunkelbraunen Augen funkelten kalt wie zwei Sterne am winterlichen Himmel.
    Wer die beiden Schwestern nicht näher kannte, staunte oft darüber, wie
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