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Die Zeitung - Ein Nachruf

Die Zeitung - Ein Nachruf

Titel: Die Zeitung - Ein Nachruf
Autoren: Michael Fleischhacker
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Art Medienevolution, die von der oralen Kultur über die Literalität mit der Erfindung der Druckerpresse und dem Einsatz von beweglichen Metalllettern durch den Mainzer Johannes Gensfleisch in das Gutenberg-Zeitalter mündet. Gutenbergs Erfindungen gelten als wesentliche Voraussetzungen für das Renaissancezeitalter, sein Hauptwerk, die zwischen 1452 und 1454 entstandene Gutenberg-Bibel, setzte neue ästhetische und technische Maßstäbe. Das nach ihm benannte Zeitalter währte fast ein halbes Jahrtausend – kein Wunder also, dass
Time-Life
den Buchdruck zur wichtigsten Erfindung des zweiten Jahrtausends erklärte.
    Das Ende des Gutenberg-Zeitalters und damit der Beginn des vierten medienevolutionären Abschnittes – des „elektronischen Zeitalters“ – zeichnet sich nach McLuhans Ansicht mit der Erfindung der drahtlosen Telegrafie durch Guglielmo Marconi Ende des 19. Jahrhunderts ab (andere, wie der Fluxus-Philosoph Vilém Flusser, setzen eher bei der Erfindung der Fotografie an, also bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts). Spätestens die elektronischen Medien, allen voran das Fernsehen, und die fortschreitende Vernetzung der Gesellschaften zu einem einzigen globalen Stamm (
War and Peace in the Global Village
erschien 1968) besiegelten das Ende des Buchzeitalters.
    Was McLuhan und die anderen Vordenker der Medientheorie interessierte, waren nicht die vornehmlich ökonomischen Themen, die heute im Mittelpunkt der Mediendebatte stehen. Man war daran interessiert, was die neuen Technologien am Beginn der Renaissance und jene an der Wiege der Moderne mit den Menschen und ihrem Verhalten gemacht haben und nach wie vor machen. McLuhan, der marienfromme katholische Exzentriker, der seine Kinder bis in deren Erwachsenenalter zwang, vor dem gemeinsamen Essen einen Rosenkranz zu beten, erwarb sich den Ruf des ersten und größten „Medien-Gurus“. Aber er verstand sich nie als Wegbereiter und Einpeitscher des Neuen, Tollen, Nichtda-Gewesenen, sondern als Archäologe des menschlichen Kommunikationsverhaltens. Die einschlägigen Visionäre unserer Tage verkaufen in der Regel ein oder ihr Produkt, so wie die Google-Größen Eric Schmidt und Jared Cohen in ihrem Buch
Die Vernetzung der Welt – Ein Blick in unsere Zukunft
.
    McLuhan hatte durchaus Reserven nicht nur gegenüber den Entwicklungen, die er am Ende der Gutenberg-Galaxis („Galaxis“ bedeutet in seinem Verständnis in erster Linie ein technologisch grundiertes „Environment“) beobachtete, sondern auch an deren Beginn. So bemerkte er, dass die visuelle Homogenisierung der Wahrnehmung, die mit dem Druckverfahren einherging, die Vielfalt der Sinnesempfindungen in den Hintergrund drängte. Sein gelegentlich gewagt, teils mutwillig wirkender Assoziationsstil führte ihn auch zu der Behauptung, die Durchsetzung des Buchdrucks habe die Entstehung des Nationalismus, des Dualismus, das Dominieren des Rationalismus, die Automatisierung der wissenschaftlichen Forschung sowie die Vereinheitlichung und Standardisierung der Kulturen und die Entfremdung der Individuen nach sich gezogen.
    Marshall McLuhan starb 1980, lange bevor das Internet Mitte der 90er Jahre seinen Siegeszug antrat, nachdem es sich von der technologischen Infrastruktur für die sichere und schnelle Kommunikation von Wissenschaftlern und Militärs zum Massenmedium gewandelt hatte. Die interessantesten Ansätze zur Erklärung der Auswirkung der digitalen Technologien auf die zeitgenössischen Kulturtechniken kommen dieser Tage in der Tradition von McLuhans Arbeit vom Institute for Literature, Media and Cultural Studies der Universität von Süddänemark, das unter dem Titel „Gutenberg Parenthesis“ ein Forschungsprojekt zum Thema „Druck, Buch und Erkenntnis“ betreibt. Sie werden in unserem dritten Kapitel (
Das ewige Leben
) zur Sprache kommen.
Am Ende der Gutenberg-Galaxis
    Bei der Analyse des Übergangs der Deutungsmacht von den Printmedien hin zu den digitalen Medien kommt im deutschsprachigen Raum Norbert Bolz eine besonders wichtige Rolle zu. Er veröffentlichte 1993 das Buch
Am Ende der Gutenberg-Galaxis
, in dem er so etwas wie eine Übergangsphase zwischen der Welt Gutenbergs und dem beschreibt, was danach kommen würde. Dieses Danach sei noch nicht genau abzusehen, meinte Bolz, wohl aber das neue Paradigma: die Vorherrschaft des Computers. „Das Buch wird als Leitmedium der Gegenwart vom Computer abgelöst“, schreibt Bolz. „Damit ist keineswegs gemeint, dass künftig
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