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Die Zeitung - Ein Nachruf

Die Zeitung - Ein Nachruf

Titel: Die Zeitung - Ein Nachruf
Autoren: Michael Fleischhacker
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monetarisierbare Öffentlichkeiten wenden, werden wir viele kleine, ihre Zielgruppen gegen Entgelt mit hochwertigen Inhalten versorgende Gesprächsangebote sehen, die möglicherweise einen ähnlichen „Eventcharakter“ bekommen können wie jene Lesezirkel, die wesentlich zur Konstitution der bürgerlichen Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert beigetragen haben. Die Summe dieser Zirkel und Communities, die sich auf der Grundlage hochwertiger Information untereinander austauschen, hat zudem mehr Potenzial, die Rolle eines öffentlichen Kontrollorgans der staatlichen Autoritäten auszufüllen, als es die selbsternannten Ausüber der „vierten Gewalt“ während der vergangenen Jahre getan haben.
    Es muss einem um den Journalismus im digitalen Zeitalter nicht bang sein, das „Prinzip Zeitung“ ist lebendig wie eh und je. Es bringt am laufenden Band neue Produkte in der digitalen Welt hervor. Ob es sich um das Projekt des Ebay-Gründers Pierre Omidyar handelt, der gemeinsam mit dem NSA-Aufdecker des
Guardian
, Glenn Greenwald, und dem Militärkorrespondenten von
The Nation
, Jeremy Scahill, ein neues digitales Portal für investigativen Journalismus gründet, oder um Portale wie
De Correspondent
in den Niederlanden, die sich über „crowdfunding“ finanzieren: Die neuen Möglichkeiten werden genutzt, Geschäftsmodelle werden erprobt, Communities werden auf ihre ökonomische Tragfähigkeit hin überprüft.
    Das Warten auf „das neue Geschäftsmodell“ für Medien im digitalen Zeitalter wird vergeblich sein, denn es ist eines der Wesensmerkmale dieses Zeitalters, dass es ein einzelnes, beliebig skalierbares Geschäftsmodell nicht mehr gibt. „One size fits all“ war gestern. Wir leben im Zeitalter der massenhaften Maßanfertigung. Leserinnen und Leser, die gewissermaßen als Prototyp des ewigen Lebens ein solches Geschäftsmodell als Schlusspunkt dieses Nachrufs erwartet haben, muss ich leider enttäuschen.
    Es ist wohl wahr, dass die ganz großen Innovationen in der Medien- und Unterhaltungsindustrie der vergangenen Jahrzehnte nicht das Ergebnis quantitativer Marktforschung, sondern die Umsetzung visionärer Projekte von genialischen Erfindern wie Steve Jobs gewesen sind. Aber im genetischen Code ihres Erfolgs war als entscheidende Information immer die Antwort auf die Frage eingeschrieben, wie neue Produkte schon heute die morgigen Bedürfnisse ihrer Nutzer erfüllen können.
    Um aus dem unausrottbaren „Prinzip Journalismus“ erfolgreiche Produkte für die digitale Gegenwart und Zukunft abzuleiten, bedarf es einer Haltungsänderung bei Verlegern und Journalisten: Es geht nicht darum, dem Publikum zu erklären, warum das, was sie bisher gemacht haben, für sie unverzichtbar ist. Es geht darum, für das Publikum unverzichtbar zu werden, weil man die Erfüllung seiner Bedürfnisse vor die Perpetuierung der eigenen Produktionsroutinen stellt.
    Das ist der Grund, warum es in dieser Arbeit nicht darum ging, das erfolgsträchtige Produkt der Zukunft vorzustellen, sondern ein besseres Verständnis für die kommunikativen Bedürfnisse und Erwartungen der gegenwärtigen Medienkonsumenten zu gewinnen. Wir haben gesehen, dass die großen Entwicklungsschübe in der Biografie der Zeitung immer von Konstellationen begünstigt wurden, in denen technologische Innovationen, politisch-ökonomische Brüche und gesellschaftspolitische Verwerfungen sich wechselseitig beeinflusst und ein Großklima der Veränderung hervorgebracht haben. Erfolgreich waren in solchen Situationen immer Unternehmer, die solche Entwicklungen rechtzeitig wahrgenommen haben. Manche scheiterten, weil sie zu früh den nächsten Schritt gingen, viele scheiterten, weil sie die Veränderung nicht wahrhaben wollten oder einfach nicht genug darüber wussten.
    Wir sind wieder in einer solchen Situation, sie dauert nun schon bald ein Vierteljahrhundert an. Es ist also hoch an der Zeit, genau hinzusehen, was die digitale Revolution im Verein mit den politischökonomischen Brüchen unserer Zeit und den daraus resultierenden gesellschaftlichen Verwerfungen mit uns Journalisten und Verlegern und mit unseren Kunden macht. Es ist hoch an der Zeit, mit Experimenten zu beginnen und dann den richtigen Zeitpunkt für den Sprung ins Neue zu wählen. Mit dem Produkt der täglich gedruckten Zeitung werden nur jene Unternehmen mitsterben, die sich nicht mehr von der Vorstellung lösen können, dass eine fundamentale Veränderung in den Bedürfnissen von Medienkonsumenten in
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