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Die Zeitung - Ein Nachruf

Die Zeitung - Ein Nachruf

Titel: Die Zeitung - Ein Nachruf
Autoren: Michael Fleischhacker
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Konservierung des „Prinzips Journalismus“ muss aus der Mitte der neuen Möglichkeiten und Rahmenbedingungen der digitalen Welt entwickelt werden. Wenn es stimmt, dass, wie James Dewar 13 es formulierte, der „Blick voraus“ einem „Blick zurück“ gleichkommt, dann muss dieser Blick zurück sich zunächst auf jene Grundhaltung richten, die zu allen Zeiten Voraussetzung für den Erfolg von publizistischen Produkten gewesen war: Sie bestand darin, möglichst rasch auf die sich ändernden Informationsbedürfnisse des Publikums zu reagieren und diese Bedürfnisse in der erwarteten Qualität und zu Kosten zu befriedigen, die durch den Verkauf der daraus entstehenden Produkte zumindest gedeckt werden können.
    Die Krise, in der sich die professionelle journalistische Medienproduktion heute befindet, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass sich unter den Journalisten ein Selbstverständnis entwickelt hat, das dazu neigt, die Konsumenten davon zu überzeugen, dass mit ihren Bedürfnissen etwas nicht stimmt. Überwinden wird sich die Krise daher nur lassen, wenn jener unternehmerische Journalismus wieder zu Ehren kommt, der von den ersten Wochenzeitungsproduzenten über Benjamin Franklin bis zu Randolph W. Hearst und Joseph Pulitzer für die entscheidende Dynamik gesorgt hat. Eines der überzeugenden Beispiele für einen solchen unternehmerischen Journalismus ist gegenwärtig der amerikanische Onlinedienst
Politico
: Von Dissidenten der
Washington Post
gegründet, verkauft das Portal heute zu sehr hohen Preisen sehr spezialisierte Newsletter an die Mitglieder der „political community“ in Washington, während die Eigentümer der
Post
das alte Flaggschiff mangels Glaubens an eine Zukunft an Amazon-Gründer Jeff Bezos verkauft haben.

    Unternehmerischer Journalismus:
Politico
wurde von Dissidenten der
Washington Post
gegründet.
    Statt in den eigenen Feuilletons und in ihren Stammlokalen darüber zu lamentieren, dass sie ihre „Deutungshoheit“ eingebüßt haben und sich den Takt von irgendwelchen No-Name-Nerds, Bloggern und Twitterati vorgeben lassen zu müssen, sollten Journalisten lieber überlegen, was „Deutungshoheit“ eigentlich noch bedeuten kann in einer Zeit, in der Medienkonsumenten, die an qualifizierter Information interessiert sind, die Dinge, für die sie sich interessieren, über soziale Netzwerke und Spezialisten-Plattformen aus erster Hand bekommen können.
    Darauf antworten die beleidigten Journalisten in der Regel, dass ihre Kompetenz in der Auswahl, Gewichtung und Bewertung liege, durch die aus dem unüberblickbaren Wust an seriösen und weniger seriösen, relevanten und irrelevanten Informationen ein konsumierbares Produkt werde. Dass auch an dieser Kompetenz immer weniger Bedarf herrscht, weil sich in den sozialen Netzwerken viele kompetente Menschen herumtreiben, mit denen die Konsumenten als „Freunde“ oder „Follower“ verbunden sind, und deren Auswahl an „geteilten“ Texten, Bildern und Filmen diese Konsumenten für mindestens so kompetent halten wie jene der professionellen Journalisten aus den traditionellen Medien, macht die Empörung und Verzweiflung komplett.
Journalismus ist Im-Gespräch-Sein
    Wenn es stimmt, dass die Zukunft, die der Journalismus vor sich hat, einem Blick in den Rückspiegel gleicht, und zwar einem Blick, der sehr weit zurückreicht in die Zeit vor dem Eintritt unserer Kultur in das Gutenberg-Zeitalter, dann wird es in Zukunft in erster Linie darum gehen, das Grundprinzip der „sekundären Oralität“ zu begreifen: Im-Gespräch-Sein. Das Zeitalter der Tageszeitung als Plattform der Publikation autoritativer Texte ist zu Ende gegangen – und mit ihm das Zeitalter eines Journalismus, der sein autoritatives Selbstverständnis daraus bezog, Teil eines Systems zu sein, das aufgrund der hohen Kosten – Druckmaschinen, Papier, Vertriebsapparat – keine Konkurrenz hatte. Dieses System spuckt sie gerade reihenweise aus.
    Das Bedürfnis der Menschen, ihr kleines Ich in Beziehung zur Welt zu setzen, ist unausrottbar – und es ist ein Bedürfnis nach Dialog. Gute Journalisten sind intelligente Gesprächspartner, die im Idealfall selbst über ausgeprägtes Wissen in speziellen Gegenständen verfügen und darüber hinaus die Fähigkeit haben, das Gespräch durch Querverweise und Hinweise auf andere interessante Gesprächspartner in Gang zu halten. Seit ihre „Deutungshoheit“ nicht mehr durch exklusive Technologien der Verbreitung abgesichert ist, müssen sie ihre
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