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Die Zeitung - Ein Nachruf

Die Zeitung - Ein Nachruf

Titel: Die Zeitung - Ein Nachruf
Autoren: Michael Fleischhacker
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Deutungs- und Einordnungskompetenz jeden Tag aufs Neue unter Beweis stellen. Das wird dem Journalismus guttun. Und es wird zu einer neuen Vielfalt an Medienprodukten führen.
    Erinnern wir uns: Als mit Gutenbergs Erfindung die Vervielfältigung der Information möglich wurde und das Grundmuster der Kommunikation begann, sich von der Kommunikation aller mit allen auf dem Marktplatz in Richtung der Kommunikation von einzelnen mit vielen über Flugblätter, Kalender und Zeitungen zu verändern, wurden diese Möglichkeiten zuerst fast ausschließlich von Geschäftsleuten ohne jede journalistische Ambition im heutigen Sinn genutzt. Nach und nach wurden die neuen Möglichkeiten von Menschen genutzt, die Neues auf den Weg bringen wollten, bald bildeten sich mit den Zeitschriften unterschiedliche Teilöffentlichkeiten, „communities of interest“, wie die neue Gruner-&-Jahr-Chefin Julia Jäkel sagen würde. Dann, als sie es nicht mehr verhindern konnten, benutzten die Mächtigen das neue Instrument, um ihre Herrschaft zu befestigen; als auch das nicht mehr funktionierte, kamen neue Spieler aufs Feld, die eine neue Art von Macht kreierten. Alle diese Entwicklungen, die wir im Lauf der Jahrhunderte gesehen haben, spielen sich heute gleichzeitig ab.
    Der Blick voraus in den Spiegel zeigt also, was den Habitus der medialen Kommunikation betrifft: eine Rückkehr von der Verkündigung zum Gespräch. Inhaltlich zeigt er immer stärker eine Rückkehr von „general interest“ zu „special interest“.
    Dass die Tageszeitungen im Zuge ihres „Goldenen Zeitalters“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und dann noch einmal im Zuge des Wettbewerbs mit den elektronischen Medien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer mehr Themen und Inhaltsgebiete integrierten, hatte in erster Linie mit skalenökonomischen Überlegungen zu tun. Um die immer höheren Kosten der immer ausgefeilteren und aufwändigeren Druckmaschinen – erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts wurde die durchgängige Farbigkeit von Tageszeitungsprodukten zum Normalfall – finanzieren zu können, wurden immer größere Auflagen und Reichweiten notwendig, um eine immer größere Zahl von Anzeigenkontakten an die Werbeindustrie verkaufen zu können.
    Mit dem Rückzug der Werber aus den gedruckten Tagesmedien werden die Zeitungen wieder stärker von den Vertriebserlösen aus Abonnements und Einzelverkauf abhängig. Die Verkaufspreise sind während des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts massiv gestiegen und werden weiter steigen – und mit ihnen die Ansprüche der Leser, für ihr Geld mehr zu bekommen. Für die General-Interest-Tageszeitung ist das eine schlechte Nachricht: Der Versuch, für 14- bis 100-jährige Konsumenten und ihre unterschiedlichen Interessen in Wirtschaft, Politik, lokalen Nachrichten und Kultur ein einziges, immer dünner werdendes Produkt anzubieten, wird nicht erfolgreich sein.
    Dieselbe Logik wird auch bei der Entwicklung neuer digitaler Angebote mit publizistischem Anspruch greifen: Neben der Grundbedingung einer dialogischen, die Konsumenten über soziale Netzwerke und direkte Kommunikationskanäle in die Informationsaufbereitung einbeziehenden Aufbereitung werden nur Angebote für klar definierte Zielgruppen mit ebenso klar definierten Interessen mit einer Qualität erstellt werden können, für die User bereit sind zu zahlen.
    „General interest“ ist nur noch für reichweitenorientierte Gratisangebote eine Option. Hier liegt die größte Herausforderung für jene Online-Angebote traditionsreicher Printmarken, die sich für eine Werbefinanzierung auf der Basis großer Reichweiten entschieden haben, die nicht zuletzt durch den massiven Ausbau der Response-Möglichkeiten in den jeweiligen „Foren“ erreicht werden können. Abgesehen davon, dass Marken wie die
Die Zeit, Der Spiegel
oder
Der Standard
durch die tendenzielle Boulevardisierung ihrer Gratis-Online-Angebote in markentechnische Schwierigkeiten geraten werden: Nur mit Werbeerlösen wird es nicht möglich sein, die fusionierten Print-Online-Redaktionen zu finanzieren. Ohne Vertriebserlöse wird es Qualitätsjournalismus im Netz genauso wenig geben wie zu analogen Zeiten. Wie man aber zugleich die dialogische Grundstruktur des Angebots erhalten und die Nutzung des Angebots auf zahlende Kunden einschränken kann, ist vollkommen offen.
    Statt einiger weniger großer medialer Verkündigungsorganisationen, die sich an möglichst große, im Zuge der Skalenökonomie
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