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Die Zeitung - Ein Nachruf

Die Zeitung - Ein Nachruf

Titel: Die Zeitung - Ein Nachruf
Autoren: Michael Fleischhacker
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Sensationsgier der Boulevardjournalisten und die ideologischen Engführungen dieses oder jenes Qualitätsblattes, „die Zeitung“, und wir haben den Eindruck, dass das immer schon so war und deshalb auch so bleiben sollte.
    Man kann kaum eine öffentliche Diskussion über die schwierige Lage der Zeitungsbranche hören, in der nicht ziemlich bald davon geredet wird, dass, wenn alle Stricke reißen, eben der Staat einspringen und die Zukunft der Zeitung ökonomisch absichern müsse. Weil mit der Zeitung auch die Demokratie gefährdet sei. Ist das so? „Niemand sollte sich über den Niedergang der einstmals großen Titel freuen“, hieß es 2006 im
Economist
-Leitartikel: „Aber der Niedergang der Zeitungen wird für die Gesellschaft nicht so schädlich sein wie manche glauben. Erinnern Sie sich: Die Demokratie hat schon den großen, durch das Fernsehen eingeleiteten Auflagenrückgang der 1950er Jahre überlebt. Sie hat überlebt, als die Leser Zeitungen mieden und die Zeitungen das mieden, wovon man in verstaubteren Zeiten gedacht hatte, es wären seriöse Nachrichten. Die Demokratie wird auch den kommenden Niedergang überleben.“

    Charles de Montesquieu (1689–1755) formulierte 1748 in seiner Schrift
Vom Geist der Gesetze
das Prinzip der Gewaltenteilung.
    Die Idee, dass die Medien die „vierte Gewalt“ („pouvoir“) oder der „vierte Stand“ („estate“) seien, ist zumindest in Frankreich und England fast so alt wie die Idee der Gewaltentrennung selbst. Freilich wird in der zeitgenössischen Debatte gern vergessen, dass Montesqieu, wie fast ein Jahrhundert davor Hobbes, in erster Linie der Rechtsstaatlichkeit, nicht der Demokratie ein institutionelles Fundament bauen wollte. Das hat damit zu tun, dass man inzwischen alles, was man an gesellschaftlichen Konventionen für wünschenswert hält, zu „demokratischen Werten“ erklärt. Das hält die Erregungs- und Empörungsbereitschaft auf hohem Niveau und erleichtert die Durchsetzung politisch korrekter Ideen, hat aber einen eminenten Nachteil: Wenn es mal nicht so toll läuft, sieht man gleich die Demokratie in Gefahr, wenn eine Zeitung schreibt, was einem nicht gefällt.
    Vergessen wir also nicht, dass die Aufteilung der Staatsgewalt in Legislative, Exekutive und Judikative in erster Linie der Beschränkung dieser Staatsgewalt dienen sollte – und zwar, möchte man heute rückblickend sagen, jeder Staatsgewalt, auch der demokratisch ausgeübten. Auch aus dieser Perspektive erscheint es deutlich überzogen, die „vierte Säule“ als genuin „demokratisches“ Instrument zu beschreiben. Wenn man die Medien überhaupt in einem formelleren Sinn als „Publikative“ den konstitutiven Elementen der Gewaltentrennung zurechnen will, dann sollte man sich bewusst halten, dass es nicht um eine „Stärkung“ der Staatsgewalt geht (nur weil sie eben zufällig gottlob demokratisch verfasst ist), sondern um deren Beschränkung. Hier hat sich wohl auch und vor allem unter den Wohlmeinenden ein fundamentales Missverständnis eingeschlichen.
    Interessanterweise wird fast immer dann, wenn über die „vierte Gewalt“ gesprochen wird, von der Rolle der „Medien“ gesprochen, während in der Regel die „Zeitungen“ gemeint sind. Öffentlichrechtliches Fernsehen wird im Großen und Ganzen dem Bereich der Exekutive zugerechnet, privatem Fernsehen wird nicht zugetraut, irgendeine ernsthafte Rolle außer jener des Quoten- und Geldbringers zu spielen – und in der digitalen Welt kennt man sich noch nicht so richtig aus. „Zeitung“ ist also offensichtlich trotz der imposanten Entwicklung der elektronischen und der digitalen Medien während der vergangenen Jahrzehnte zu einem Synonym für „Journalismus“ geworden. Wir werden dem Phänomen, qualitativ hochwertigen Journalismus als das „Prinzip Zeitung“ zu begreifen, am Beginn des dritten Kapitels (
Das ewige Leben
) wieder begegnen.
    Was ist nun aber die Rolle der Medien im Rahmen der Gewaltenteilung, die ihnen von jenen zugeschrieben wird, die um die Demokratie fürchten? Heinz Pürer, der Doyen der österreichischen Journalismuswissenschaft, ist ein bekennender Skeptiker, was die Rede von der „vierten Gewalt“ betrifft. Er spricht, in Orientierung an der Realverfassung, lieber von der „vierten Macht“. Und er sieht vor allem eine „Informationsfunktion“ der Medien im Sinne einer „Herstellung von Öffentlichkeit“. Seine Beschreibung dieser Funktion lautet:
    „a) die Herstellung von
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