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Schattenturm

Schattenturm

Titel: Schattenturm
Autoren: Alex Barclay
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PROLOG
     
    New York City
    Seine Hände glitten fahrig über den schmalen Gürtel, als er ihn um die Taille des achtjährigen Mädchens legte. Donald Riggs zeigte auf das Kästchen am Gürtel.
    »Das ist ein Pieper, Kleine, damit die Polizei dich findet«, sagte er.
    »Weil du nämlich gleich nach Hause darfst, wenn deine Mama ein braves Mädchen ist. Deine Mama ist doch ein braves Mädchen, Hayley?«
    Hayleys Mundwinkel zuckten, doch sie brachte kein Wort hervor. Sie biss sich auf die Lippe, schaute mit ängstlichem Blick zu Riggs auf und nickte zögernd. Riggs lächelte und strich ihr übers dunkle Haar.
    Der vierte Tag ohne ihre Tochter Hayley war der letzte Tag, an dem Elise Gray einen kaum erträglichen Schmerz aushalten musste. Wut stieg in ihr auf, und sie atmete tief durch. Elise machte sich bittere Vorwürfe, denn es war wohl eher die Schuld ihres Mannes als die des Fremden, der ihr das Kind weggenommen hatte. Gordon Grays Unternehmen war kürzlich an die Börse gegangen. Das hatte ihn zu einem sehr wohlhabenden Mann und zu einer bevorzugten Zielscheibe für Kidnapper gemacht.
    Jetzt saß Elise vor ihrem Haus, am Steuer des BMW ihres Mannes, und wartete darauf, dass dieser Scheißkerl sie auf dem Handy anrief, das er mitsamt den Lösegeldforderungen zurückgelassen hatte. Doch es war ihr Mann Gordon, an den Elise denken musste. Die Versicherungsgesellschaft hatte dem Ehepaar geraten, der Tagesablauf zu ändern. Mein Gott, Gordon hatte ja keine Ahnung, was es hieß, Abwechslung in die alltägliche Routine zu bringen. Dieser Mann kochte sich Kaffee, machte sich einen Toast und legte sich dann einen Apfel, eine Banane und einen Pfirsichjoghurt fürs Frühstück zurecht – jeden Morgen in derselben Reihenfolge. Jeden Morgen.
    Dein dummer Mann, dachte Elise. Dein dummer, dummer Mann und seine dummen Rituale. Kein Wunder, dass ihm draußen vor dem Haus jemand aufgelauert hatte. Natürlich bist du schließlich aufgetaucht, weil du jeden Tag zur selben Zeit auftauchst, um Hayley von der Schule abzuholen. Keine Umwege, keine Stopps, um irgendwo Süßigkeiten zu kaufen, jeden Tag pünktlich auf die Minute.
    Verzweifelt schlug sie die Stirn gegen das Lenkrad, als plötzlich das Handy auf dem Beifahrersitz klingelte. Als Elise die Taste suchte, um die Verbindung herzustellen, wurde ihr klar, dass das Handy die Melodie der Sesamstraße spielte.
    Dieser kranke Scheißkerl hatte tatsächlich die Melodie der Sesamstraße aufgespielt.
    »Fahr los, Miststück«, sagte er bedächtig.
    »Und wohin?«
    »Dahin, wo du deine Tochter zurückbekommst, wenn du dich anständig benommen hast.« Der Mann unterbrach die Verbindung.
    Elise Gray ließ den Motor an und fädelte den BMW in den Verkehr ein. Ihr Herz klopfte laut. Das Kabel des Abhörgeräts scheuerte an ihrem verschwitzten Rücken. Indem sie die Polizei eingeschaltet hatte, würde sie dieser Sache ein anderes Ende bereiten, als dieser Hurensohn erwartete. Elise wusste nur nicht, ob es das Ende war, das sie sich erhoffte.
    Detective Joe Lucchesi saß auf dem Fahrersitz des Streifenwagens und beobachtete. Zum wiederholten Mal fragte er sich, ob Elise Gray die Nerven hatte, die Anspannung, dass sie verkabelt war, bis zum Ende durchzustehen. Zumal niemand sagen konnte, wohin der Kidnapper sie bestellen und wie Elise reagieren würde, wenn sie es nicht bloß am Handy, sondern leibhaftig mit dem Kerl zu tun bekam.
    Auf dem Beifahrersitz saß Detective Danny Markey, mit dem Joe seit fünf Jahren als Partner zusammenarbeitete. Alles an Danny war blass – seine Haut, seine Sommersprossen, sogar seine blauen Augen.
    »Gehst du hin, wenn Old Nic nächsten Monat seinen Ausstand gibt?«, fragte Danny. Victor »Nic« Nicotero hatte sein Leben lang bei der Verkehrspolizei gearbeitet und ging in einem Monat in den Ruhestand.
    Joe schüttelte den Kopf und atmete tief ein, um den Schmerz zu bekämpfen, der in seinen Schläfen hämmerte. »Ach ja, das hatte ich ganz vergessen«, sagte Danny. »An dem Tag sind deine Schwiegereltern aus Paris da, nicht wahr?« Er lachte. »Ein sechsstündiges Essen mit Leuten, die du nicht verstehst.«
    Joe erwiderte nichts. Sein Blick ruhte auf Elise Grays Wagen, der sich jetzt in Bewegung setzte. Joe kämpfte gegen den Schmerz an, der in seinen Schläfen hämmerte, griff in die Ablage an der Fahrertür und nahm das Aspirin sowie die Pillen mit der abschwellenden Wirkung heraus. Er schluckte jeweils zwei Tabletten mit dem blauen Energy-Drink herunter, der in
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