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Schattenturm

Schattenturm

Titel: Schattenturm
Autoren: Alex Barclay
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beugte er sich über den Herd und zeigte Anna einen schmutzigen Pfannenwender.
    »Nein«, erwiderte sie lachend. »Ich weiß sowieso nicht, wie sie das hier jeden Morgen machen. Eier, Speck, Würstchen, Blutwurst, Presssack …« Sie schüttelte den Kopf und lief barfuß zum Geschirrschrank. Um an das oberste Fach zu gelangen, musste sie sich auf die Zehenspitzen stellen.
    »Aber dann wird ein richtiger Kerl aus mir«, sagte Joe.
    »Dann wird ein fetter Kerl aus dir«, konterte Anna.
    »In den Augen einer Französin ist jeder Mann fett«, sagte Joe.
    »Jeder Amerikaner vielleicht.«
    »He!«, rief Shaun, der sich auf seinen Stuhl setzte und die Beine zu beiden Seiten des Tisches ausstreckte. »Lass dir das nicht gefallen, Dad. Wir Amerikaner müssen zusammenhalten.« Er nahm Messer und Gabel und lächelte wie sein Vater. Die väterlichen Gene der Lucchesis waren bei dem Jungen stärker als die mütterlichen der Briaudes, doch es war vor allem der Kontrast zwischen dem dunklen Haar und der hellen Haut des Vaters und den blassgrünen Augen seiner Mutter, der Shaun sein gutes Aussehen verlieh.
    »Danke, mein Sohn«, sagte Joe.
    »Es würde trotzdem nichts schaden, wenn du dir ein Hemd anziehst, Dad«, meinte Shaun.
    »Du bist ja bloß neidisch auf meinen Body. Außerdem koche ich immer oben ohne. Dann stinkt mein Hemd hinterher nicht nach meinen Kochkünsten.« Joe servierte das Essen auf zwei Platten. »Deine Mutter weiß nicht, was ihr entgeht.«
    »Doch. Übergewicht«, sagte Anna und beäugte ihn kritisch, worauf Joe sich auf den Bauch schlug.
    »Sind doch nur ein paar Pfunde, Liebling«, sagte er. »Außerdem kann ich sowieso nicht mit einer Frau konkurrieren, die ihre Kleidung in der Kinderabteilung kauft.«
    Anna lächelte. Joe zog ein weißes, langärmeliges T-Shirt über den Kopf und ging zum Kessel, nahm den Kaffeebereiter aus dem Regal, goss kochendes Wasser hinein und spülte die Kanne sorgfältig aus. Als sie heiß war, schüttete Joe das Wasser aus und gab vier Löffel Kaffeepulver in die Kanne, füllte sie bis zum Chromrand mit Wasser, spülte den Pressfilter in kochendem Wasser, setzte ihn obenauf und drehte den Deckel zu. Nach vier Minuten drückte er den Pressfilter vorsichtig hinunter und beobachtete, wie das Kaffeepulver langsam in die Kanne gedrückt wurde. Dann drehte Joe den Deckel so, dass das Sieb im Deckelrand im Ausguss saß und der Kaffee hindurchlaufen konnte.
    »Dein Vater hat gestern Abend angerufen«, sagte Anna.
    »Ach ja?« Joe stellte den Kaffee auf den Tisch.
    »Ja. Er heiratet.«
    Joe starrte sie an. »Du willst mich wohl verscheißern.«
    »Drück dich nicht so ordinär aus. Es ist wirklich so. Glaubst du vielleicht, ich denke mir so etwas aus? Er will, dass du kommst.«
    »Mein Gott. Ist Pam die Glückliche?«
    »Natürlich. Wer sonst.«
    »Na, bei dem Kerl weiß man nie.«
    »Großvater ist unglaublich«, sagte Shaun.
    »Das kann man wohl sagen«, murmelte Joe.
    »Sag mal, Mom«, wandte Shaun sich an Anna, »hast du eigentlich Baby-Fotos von mir mit hergebracht?«
    »Glaubst du vielleicht, ich hätte nicht daran gedacht? Die Fotos sind so süß, dass ich ein paar in mein Tagebuch gelegt habe. Warte.«
    Anna holte ihr Tagebuch aus dem Schlafzimmer und zog drei Fotos aus einem Umschlag, der zwischen den Seiten steckte.
    »Hier.« Anna hielt das erste Foto hoch. Es zeigte den zweijährigen Shaun in der Badewanne, wie er grinsend im Schaum planschte. Auf dem zweiten Foto war er vier Jahre alt. Er trug eine Art Kampfanzug und hielt ein Plastikgewehr in der Hand. Auf dem dritten Bild blies er fünf Kerzen auf einem Kuchen aus, der die Gestalt eines Maikäfers hatte.
    »Der Kuchen war ein Albtraum«, meinte Anna. »Dein Vater stand die ganze Zeit hinter mir, weil er Angst hatte, der Kuchen würde nicht wie ein Käfer aussehen.«
    »Er sieht auch jetzt nicht wie ein Käfer aus«, sagte Shaun lachend. »Ich nehme das Soldatenfoto. Süß, aber politisch inkorrekt. Genau wie ich.«
    »Wozu brauchst du es?«, fragte Anna.
    »Für unsere Schul-Website«, erwiderte Shaun. »Die St. Declan’s geht ins Internet. Mr Russell, unser Mathelehrer, hat in den Neunzigern in einer großen Computerfirma gearbeitet. Dann hat er das Burnout-Syndrom bekommen und als Lehrer angefangen. Ein cooler Typ. Er will, dass jeder Schüler der fünften Klasse auf der Website einen Beitrag mit seiner Biographie veröffentlicht. Darum muss jeder von uns Fotos mitbringen. Nach dem Motto: vorher – nachher. Vom
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