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Schattenturm

Schattenturm

Titel: Schattenturm
Autoren: Alex Barclay
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vor. Shaun lächelte, als seine hübsche Freundin die Zuhörer mit der süßesten Stimme verzauberte, die er je gehört hatte.
    Katie hatte sein Leben verändert. Er war seinen Eltern widerwillig nach Irland gefolgt, hatte den Baseball, das Kabelfernsehen und vor allem die Großstadt wahnsinnig vermisst. Und dann kam Katie. Gleich am ersten Tag an seiner neuen Schule hatte Shaun nur Augen für sie gehabt, und bald darauf hatte es zwischen beiden gefunkt. Katie war ein hübsches Mädchen mit frischen, roten Wangen, dunklem Haar und braunen Augen.
    Nun kam sie von der Bühne und setzte sich neben Shaun. Sie senkte den Kopf; der Applaus machte sie verlegen.
    »Wow«, flüsterte Shaun. »Du warst super. Du stichst alle aus.«
    Katie errötete. »Das stimmt doch gar nicht«, sagte sie und schüttelte den Kopf.
    »O doch«, sagte Shaun. »Du warst echt geil.«
    Ali Danaher, Katies beste Freundin, war als Nächste an der Reihe. Sie trug ein selbst verfasstes Gedicht vor. Shaun grinste, noch bevor Ali auch nur ein Wort vorgetragen hatte, denn er wusste, das Gedicht würde so düster sein wie Alis Kleidung und ihr Lidschatten. Ali hatte blond gefärbtes Haar, und wenn sie die Ärmel hochkrempelte, waren winzige Abdrücke von Rasiermessern auf den Armen zu sehen. Dabei ging es ihr einzig darum, die Leute zu schockieren. Niemals hätte sie zugegeben, dass sie aus einer glücklichen Familie stammte, weil ihre Kunst darunter gelitten hätte. Feierlich beendete sie ihr Gedicht:
    »… durch den morschen Kern tropft’s hindurch, und bald bröckelt die glänzende Fassade, die düst’re Vergangenheit zum Vorschein kommt, und zu spät ist’s, sie zu verschleiern.«
    Shaun und Katie übertönten mit ihrem Jubel den höflichen Applaus der Eltern. Ed Danaher, Alis Vater, blickte seine Frau an und verdrehte die Augen, klatschte aber am längsten.
    Nach dem Schulfest machte Joe sich mit Ed auf den Weg zur Kneipe, während Petey Grant, der Hausmeister der Schule, zu Anna kam. Petey hatte blasse Haut und kurzes, dunkelbraunes Haar. Seine mandelförmigen Augen unter den dichten Brauen waren von einem zarten Blau. Beim Sprechen lehnte er sich stets zu einer Seite, hielt seine großen Hände vor den Bauch und streckte und beugte seine schlanken Finger, als wollte er einen Basketball fangen.
    »Hallo, Mrs Lucchesi. Schön, Sie hier zu sehen. Hat Ihnen das Programm gefallen? Ich fand’s toll. Katie ist ’ne großartige Sängerin und ein hübsches Mädchen. Ich habe ihr neulich beim Üben zugehört.« Er errötete. »Ist Ihr Mann hier? Ich könnte morgen in seine Werkstatt kommen, wenn er möchte. Oder hat er schon was anderes vor? Ich hab morgen frei, wissen Sie. Da könnte ich ihm bei dem Tisch helfen, an dem er gerade arbeitet.«
    Petey gab gern jeden Gedanken preis, der ihm in den Sinn kam. Seit seiner Kindheit hatte er mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Schüler waren in zwei Lager geteilt. Die einen machten ihm das Leben schwer, die anderen verteidigten ihn vehement. Anna mochte Petey. Er war höflich, begeisterungsfähig, sensibel und für einen Fünfundzwanzigjährigen auf eine charmante Art naiv. Gleich zu Beginn hatte Petey in Joe einen Freund gefunden, zumal er Joes Interesse für Leuchttürme teilte – Peteys Lieblingsthema, das er bei jeder sich bietenden Gelegenheit anschnitt. Wenn Joe Möbel für das Haus schreinerte, kam Petey häufig in die Werkstatt, lehnte sich an die Werkbank und sprach stundenlang über die Geschichte der irischen Leuchttürme.
    »Sie sind uns jederzeit willkommen, Petey«, sagte Anna. »Schauen Sie nach der Arbeit doch mal vorbei.« »Danke, Mrs Lucchesi, das wäre schön, und …« Petey stockte, zögerte. Er wusste nie, wann ein Gespräch beendet war.
    Anna blieb noch zwei Stunden und räumte nach Ende der Veranstaltung mit ein paar anderen »Supermüttern« auf, wie Joe sie nannte. Als sie sich allein auf den Heimweg machte, war es Mitternacht. In Gedanken versunken, ging sie an der Kirche vorbei.
    »Wenn das nicht die schöne Anna ist«, rief jemand mit gehässigem Unterton aus der Dunkelheit.
    Anna zuckte zusammen. Dann sah sie John Miller im Licht einer Straßenlaterne stehen und erschrak. Sie wusste, dass seine glasigen Augen, die roten Flecke im Gesicht und der unsichere Gang an seiner Trunkenheit lagen, doch alles andere war ein Schock für sie: das ergraute, fettige Haar, das aufgedunsene Gesicht, das Hemd, das sich über seinem Bauch spannte. Er taumelte.
    »Ich weiß, ich sehe aus wie ein
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