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Schattenturm

Schattenturm

Titel: Schattenturm
Autoren: Alex Barclay
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die beiden Wüstenbussarde nicht aus den Augen. »Sie beobachten immer ganz genau, was vor sich geht«, erklärte er den Jungen. »Sie behalten alles im Auge und warten.«
    Plötzlich stürzte Solomon in die Tiefe und schoss an Duke und Donnie vorbei. Sheba, der zweite Bussard, folgte ihm. Onkel Bill lief den Tieren hinterher und rief den Jungen zu, ihm zu folgen.
    »Sie haben was entdeckt!«, rief er. »Das kann man daran sehen, wie sie fliegen!«
    Donnie und Duke gelangten auf freies Gelände und erblickten in einiger Entfernung eine einsame Virginiawachtel.
    »Ah, darauf also haben sie ’s abgesehen«, sagte Bill.
    Solomon jagte in tiefem Flug auf die Wachtel zu. Kurz bevor er sie erreichte, suchte die Wachtel verzweifelt Schutz unter vertrockneten Sträuchern neben den Mesquitebäumen, verharrte dann abrupt auf der Stelle. Solomon verfehlte seine Beute, jagte an ihr vorbei und war gezwungen, hoch auf einem der Bäume zu landen, da er seinen Kurs nicht so schnell ändern konnte. Doch nun schoss Sheba so schnell auf die Wachtel zu, dass er sie gepackt und getötet hatte, bevor sie ein zweites Mal reagieren konnte. Sekunden später war auch Solomon wieder zur Stelle und packte den Kopf der Wachtel. Die beide Wüstenbussarde zerrissen ihre Beute.
    »Wie Jekyll und Hyde«, sagte Onkel Bill. »Eben noch sitzen sie hoch am Himmel und blicken auf die Schöpfung herunter, und einen Moment später reißen sie einen Teil dieser Schöpfung in Stücke.«
    Wanda Rawlins war einst die Attraktion in der Amazon-Bar in Stinger’s Creek gewesen. Betrunkene, zahnlose, abgerissene Männer, die sich in ihrem ganzen Leben nie weiter als dreißig Meilen von ihrem Heimatort entfernt hatten, schworen Stein und Bein, Wanda sei schöner als die »Schlampen vom Broadway«, und waren deshalb froh, dass sie bei ihnen in der tiefsten Provinz blieb, um für sie zu tanzen.
    Zehn Jahre später, als Wandas Brüste erschlafften, hatte sie nichts mehr zu bieten als einen Hafen im Sturm. 10 Dollar mit der Hand, 20 Dollar für eine einfache Nummer mit Kondom, 30 Dollar für einen Rundum-Service. Für LSD gab es alles umsonst. Wenn man Koks hatte, durfte man sogar das ganze Wochenende bleiben.
    Zwei Minuten an einem dieser Wochenenden waren alles, die einer von Wandas treuen Fans benötigt hatte, um den kleinen Duke zu zeugen, der inzwischen acht Jahre alt war, Wanda aber das Gefühl gab, hundert zu sein.
    Das erste Mal, als Duke seine Mutter überraschte, war er vier Jahre alt. Der kleine Junge bekam den Schock seines Lebens, denn er glaubte, seine Mom würde erdrosselt: Ein großer nackter Mann kniete hinter ihr und stieß immer wieder mit dem Unterleib nach vorn, während er den rechten Arm gegen die Wand über ihrem Kopf presste und mit der linken Hand einen rosafarbenen Seidenschal festhielt, der um Wandas Hals geschlungen war. Ihr Gesicht war knallrot, ihre Augen glasig, ihre Lider schwer. Der Mann stierte mit trunkenem, lüsternem Blick zu dem kleinen Duke und setzte glückselig fort, wofür er bezahlt hatte.
    Der entsetzte Duke warf sich herum und flitzte aus dem Zimmer. Ein paar Minuten später kam seine Mutter in die Küche; unter dem verblichenen Bademantel war sie nackt. Sie funkelte Duke böse an. »Was ist?«, schrie sie und schlurfte zum Schrank, auf dem die Kaffeemaschine blubberte. Als sie mit dem Kaffeebecher an Duke vorbeiging, kreischte sie ihm »Hau ab!« ins Ohr.
    Dukes kindliche Unschuld ging für immer verloren, als der nächste Freier erschien.
    Westley Ames war ein untersetzter, schniefender Mann mit wässrigen Augen und kriecherischer Haltung. Er hatte eine unscheinbare, verschüchterte Frau, die ihm drei Töchter schenkte – blasse, farblose Mädchen. Jahrelang focht Westley einen inneren Kampf aus, war aber zu schwach, um die kranken Phantasien zu vertreiben, die ihm im Kopf herumspukten.
    Langsam bahnte er sich einen Weg zwischen dem Schutt und Müll in Wanda Rawlins’ Garten, ein halbes Gramm Koks in einem sauber gefalteten Papierblatt in der Jackentasche.
    »Tag, Westley«, sagte Wanda, die sich an den Türrahmen lehnte und eine Hand über die Augen legte, um sie vor der Sonne zu schützen. In jungen Jahren war sie eine hübsche Frau gewesen, mit gebräunter Haut, verführerischen Kurven und einem süßen Lächeln. Jetzt spannte sich die weiße Haut über ihrem knochigen Körper, und die einst so strahlend blauen Augen waren stumpf. Die dürren Beine waren leicht gekrümmt und drückten gegen die Seiten ihrer
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