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Schattenturm

Schattenturm

Titel: Schattenturm
Autoren: Alex Barclay
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geschniegelten Schnösel zum abgedrehten Freak.«
    Anna lachte. »Mein kleiner Soldat ist hübsch frisiert, aber nicht geschniegelt«, sagte sie und betrachtete das Foto. »Und was ist überhaupt freakig? Jungs in Baggy-Pants und T-Shirts, die bis zu den Knien reichen?«, fragte sie mit Blick auf seine weiten Jeans.
    »Nein. Ein Freak ist jemand, der neben einem Leuchtturm wohnt.«
    Anna verpasste ihm mit dem Tagebuch einen Klaps. Joe lachte. Shaun schnappte sich die Schultasche.
    »Wir sehen uns heute Abend bei der Show«, rief er und schlug die Tür hinter sich zu.
    Anna drehte sich zu Joe um und zeigte mit dem Finger auf ihn. »Ruf deinen Vater an.«
    »Oui, isch ruf mein Vater an«, erwiderte er und ahmte Annas französischen Akzent nach.
    »Blödmann«, sagte sie und warf ihm einen bösen Blick zu.
    Der kleine, pausbäckige Sam Tallon stand im alten Dienstraum hoch oben im Leuchtturm und schüttelte den Kopf.
    »Mensch, da werden Erinnerungen wach«, sagte er. »Hier hat der Leuchtturmwärter immer am Schreibtisch gesessen und seine Berichte geschrieben.« Er streckte die Hand aus. »Da, die Farbe auf den Leitersprossen«, sagte er. »Die müssen sie noch wegspachteln.« Der achtundsechzigjährige Sam Tallon, einst als Ingenieur für die irische Leuchtturmbehörde tätig, war Annas Restaurationsexperte. Sie hatte ihn soeben über die schmale Wendeltreppe in den ehemaligen Dienstraum geführt.
    Sam zog sich die Sprossen einer Leiter hinauf; dann kroch er durch eine eiserne Falltür in den Laternenraum. Als Anna ihm folgte, stieß er einen leisen Pfiff aus.
    »Hier wartet noch ’ne Menge Arbeit auf Sie«, sagte er.
    »Ich weiß.« Anna schaute auf die Risse in den verrosteten Wänden.
    »Das muss alles abgekratzt werden«, sagte Sam. »Da sind mehrere Schichten Lackfarbe drauf. Die ist bestimmt steinhart.«
    In der Mitte des Raumes stand ein Podest mit einer Quecksilberwanne, die das Fünftonnengewicht des Linsensystems der Laterne hielt. Im Laternenraum konnte man nur den unteren Teil davon sehen; der größere Teil befand sich in der Galerie darüber. Sam überprüfte das Messgerät neben der Quecksilberwanne.
    »Der Quecksilberpegel ist ein wenig gesunken. Deshalb haben die Rollen unter den Linsen vermutlich etwas mehr Gewicht zu tragen, als es der Fall sein sollte. Aber das ist kein großes Problem, vor allem, wenn das Licht nicht immer brennt.«
    »Hoffentlich wird es überhaupt eines Tages wieder brennen.«
    »Oh, das kriegen Sie schon hin«, meinte Sam. »Ich wüsste nicht, warum man Ihnen untersagen sollte, hin und wieder das Licht einzuschalten, wenn der Strahl nur ins Landesinnere zeigt.«
    Anna hielt den Atem an, als Sam aufmerksam die Basis des Linsensystems betrachtete und den Uhrwerkmechanismus überprüfte, der die Linsen drehte.
    »Kaum zu glauben«, sagte er schließlich. »Es scheint alles in Ordnung zu sein. Nach fast vierzig Jahren! Wir müssen die Gewichte bewegen, aber ich glaube, Sie haben Glück.«
    »Gott sei Dank.«
    »Da drinnen brennt ein Glühstrumpf. Man kann ihn mit dem Docht einer Kerze vergleichen«, sagte Sam mit Blick auf das Linsensystem. »Ohne Glühstrumpf gäbe es kein Licht. Er ist bloß ein kleines, seidenes Ding, das Sie in Ihre Tasche stecken könnten.« Er kicherte. »Also, das Prisma im Linsensystem bündelt das Licht. Die Linsen rotieren, und dann haben Sie Ihren wundervollen Leuchtturmlichtstrahl, der übers Meer wandert.« Als Sam die Leiter ins Linsensystem hinaufstieg, wischte er mit dem Ärmel Spinnweben zur Seite, die sich im Laufe der Jahre gebildet hatten.
    »Verdreckt«, sagte er. »Damit müssen Sie sich später beschäftigen … vielleicht, nachdem Sie die Wände gestrichen haben. Und Sie müssen sich ein paar neue Glühstrümpfe besorgen …«
    Sie stiegen die Leuchtturmtreppe wieder hinunter und traten durch die alten Türen ins Freie.
    »Die Türen müssen auch ersetzt werden«, sagte Sam.
    »Die sind schon unterwegs.«
    »Gut«, sagte Sam. »Dann werde ich die Rollen reinigen und den Druck in den Petroleumtanks überprüfen. Das Reinigen der Linsen und der Messingteile überlasse ich Ihnen.« Er lächelte.
    »Okay«, sagte Anna.
    »Anschließend können wir einen Probelauf machen und überprüfen, ob alles noch funktioniert.«
    »Das kann aber ein bisschen dauern, Sam. Ich sag Ihnen Bescheid, wann es passt, ja?«
    »Kein Problem.«
    Die Gespräche verstummten, und die Zuschauer wandten sich der Bühne zu. Katie Lawson trat aufs Podium und trug ihr Lied
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