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Die Zeitung - Ein Nachruf

Die Zeitung - Ein Nachruf

Titel: Die Zeitung - Ein Nachruf
Autoren: Michael Fleischhacker
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keine Bücher mehr existieren werden oder gar, dass Schreiben und Lesen ihre Bedeutung verlieren.“ Dass Lesen und Schreiben als Kulturtechniken nicht obsolet würden, sehe man schon daran, dass, wie Bolz damals vorsichtig formulierte, „die heute bekannten Formen der Computerarbeit noch immer mit Lesen und Schreiben verknüpft sind“. Daran würde auch die Tatsache nichts ändern, dass im Zuge der medialen Evolution Bilder an die Stelle von alphabetischen Notationen träten.
    Bolz beschreibt die vier elementaren Funktionen von Medien: Speichern, Übertragen, Rechnen und Kommunizieren. Die beiden ersten Funktionen gehören zum Kernbestand der menschlichen Kultur: Seit Menschen existieren, gibt es Medien, und deren erster und lange einziger Zweck war das Speichern. Sprachfindung ist Speicherfindung, worum es ging, war das Identifizieren von Notationen für Dinge, die in Realien gespeichert waren, also im Wesentlichen landwirtschaftliche Produkte. 3 Im nächsten Schritt kam die Übertragungsfunktion dazu, deren begriffliche Blüte das „Broadcasting“ symbolisiert: über große Entfernungen für ein Massenpublikum.
    An der Stelle, an der das Rechnen ins Spiel kommt, findet der eigentliche Bruch in der Mediengeschichte statt. Das Buch konnte sowohl speichern als auch übertragen, aber rechnen konnte es nicht. Mit dieser Zäsur wurden auch die beiden Leistungen der alten Medienwelt, das Speichern und das Übertragen, als Rechenleistungen verstanden. Die jüngste Medienleistung, die ebenfalls im Computer angelegt ist, geht über das Rechnen hinaus. Das Leitmedium der Gegenwart ist der Computer nicht wegen seiner Rechenfähigkeit, sondern „weil er technische Kommunikationsfähigkeiten des Menschen implementiert“, meint Bolz.
    Noch mehr als die Auswirkungen dieses evolutionären Prozesses auf den Wirklichkeits- und Wahrheitsbegriff (er stellt auf die Sphäre Buch-Wissenschaft ab) interessieren im Zusammenhang mit der Geschichte der Zeitung als Teil der Gutenberg-Welt die politischen Auswirkungen, die Bolz in
Am Ende der Gutenberg-Galaxis
beschreibt. Nach seiner Einschätzung löst sich mit der neuen Medienwelt auch die Vorstellung einer aufgeklärten literarischen Öffentlichkeit auf: „Für mich ist die bürgerliche Öffentlichkeit keine Option mehr“, schreibt er in einem Text, in dem er seine Argumentation nach Veröffentlichung des Buches noch einmal zusammenfasst. 4 Stattdessen würde das „Global Village“ Wirklichkeit, von dem Marshall McLuhan schon in den 50er Jahren erstmals gesprochen hatte. „Das elektronische Weltdorf“, so Bolz, „ist mittlerweile nicht mehr Science-Fiction oder die Vision eines Professors, sondern Glasfaserkabelwirklichkeit.“ Was noch seiner Verwirklichung harrt, ist das, was nach der bürgerlichen Öffentlichkeit kommen soll, wenn die keine Option mehr ist. Wie Politik aussehen könnte, „wenn die klassische Form des Räsonnements – die Öffentlichkeit – sich nicht mehr konstituieren kann“, war die Frage, die Norbert Bolz vor 20 Jahren für die interessanteste hielt. Sie ist es noch heute, und sie ist noch immer nicht beantwortet.
    Um das ideengeschichtliche Panorama, in dem sich die ökonomischen Debatten über die Zukunft des Zeitungswesens abspielen, fertig auszumalen, braucht es noch drei begriffliche Stationen auf dem Weg von McLuhan in die Gegenwart. Manuel Castells, der Stadt- und Mediensoziologe, veröffentlichte zwischen 1996 und 1998 seine Trilogie
The Information Age: Economy, Society and Culture
. Castells schließt an McLuhans Denken an und nennt folgerichtig die fernsehdominierte Übergangsphase vom Buch- zum Internetzeitalter die „McLuhan-Galaxis“.
    Die Phase, in der wir uns derzeit befinden – das Computer- und Internetzeitalter –, bekam ihren sprechendsten Namen von Wolfgang Coy verpasst: Der an der Berliner Humboldt-Universität lehrende Informatiker nannte 1993 seinen Vortrag auf der „Interface II“ in Hamburg:
Die Turing-Galaxis. Computer als Medien
. Alan Turing hatte 1936 eine universelle Maschine erdacht, um einer Lösung des grundsätzlichen Problems der Berechenbarkeit näherzukommen. Der dazugehörige Aufsatz ist inzwischen ein Kultobjekt und heißt
On Computable Numbers, with an application to the Entscheidungsproblem
. Die heute sogenannte „Turing-Maschine“ war dazu gebaut, mit drei Grundoperationen jedes mathematische Problem zu lösen, sofern es überhaupt mit einem Algorithmus zu lösen war.
    Begriffsgeschichtlich fehlt zur
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