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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht
Autoren: Eva Stachniak
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alle Knochen brechen und die Gitterstäbe eines eisernen Käfigs auseinanderbiegen.
    Hüte dich vor der wilden Bestie. Sie hat weit mehr Kraft, als sie glauben macht.
    Aber sieh sie dir an.
    Dann ertönte eine Fanfare. Die Elefanten stellten sich in einer Reihe auf, ihre Vorderbeine knickten ein, und sie senkten ihre riesigen Köpfe. Vor ihr, einer Prinzessin von Zerbst.
    Daran denkt sie jeden Abend in Moskau, wenn sie im Bett liegt und ihr Gesicht an die weiche Pelzdecke schmiegt. Sie vergisst die Demütigungen des Tages. Die Geschenke, die sie aus Zerbst mitgebracht haben, beeindrucken nicht einmal die kaiserlichen Dienstboten. Die Freundlichkeit, die ihr zuteil wird, ist genau bemessen.
    Â»Wir müssen den Kopf hoch tragen, Sophie«, sagt Maman. »Wir sind von weit älterem Adel.« Sie beruft sich wie immer auf ihren Stammbaum, den sie auswendig kennt. Verwandtschaftsbeziehungen sind starke Bande, die einem Halt geben. Tanten, Vettern, Brüder, Ehefrauen, Ehemänner. Herzog von Braunschweig. Fürstbischof von Lübeck. Gutes Blut hat viele Nebenflüsse.
    Maman erzählt von großartigen Bällen und Militärparaden in Zerbst. Sie verleiht einer wackeligen Zugbrücke den Glanz einer Prachtstraße. Die Statue eines Milchmädchens wird zu einer Sehenswürdigkeit, deren Ruhm bis nach Berlin dringt.
    Maman hört nicht, wie die Leute über ihre Prahlereien lachen. Sie bemerkt nicht das Getuschel, das plötzlich abbricht, wenn sie sich nähert. Die Blicke, die Sophie sagen, wie unsicher ihre Zukunft ist.
    Und Peter?
    Jeden Morgen schaut er bei Sophie vorbei und verkündet das Tagesprogramm. Die Welt außerhalb des Palasts kommt darin niemals vor.
    Â»Sieh dir meine Entwürfe für die Uniformen an, die meine Soldaten tragen sollen, Sophie«, sagt er.
    Oder: »Hast du wirklich mit König Friedrich gesprochen? Wie sieht er aus? Was hat er gesagt?«
    Seine blauen Augen leuchten auf, wenn er von Berlin oder Holstein redet, und sie werden prompt trübe, sobald sie das Gespräch auf Russland lenkt. Wenn sie dennoch darauf beharrt, was manchmal vorkommt, fährt er sie an oder gerät gar in Zorn. Was interessiert es Sophie von Anhalt-Zerbst, was ein russischer Kanzler macht? Oder welche von den Hofdamen in den inneren Gemächern der Kaiserin schläft?
    Â»Aber du wirst eines Tages Zar sein, Peter. Willst du es wirklich nicht wissen?«
    Â»Ich werde noch lange nicht Zar werden«, sagt er. Man könnte meinen, das ist eine kluge Antwort, aber das stimmt nicht. Was ihn so reden lässt, ist nicht die Hoffnung, seine Tante möge lange regieren, sondern nur der Wunsch, sich vor seiner Bestimmung zu drücken.
    Die Vergangenheit, die sich nicht mehr ändern lässt, ist weit weg. Die Zukunft, die man sehr wohl ändern kann, ist vage und ungewiss. Noch muss sie beide in einen entlegenen Winkel ihres Herzens verbannen.
    Die Gegenwart ist ein Rätsel, das es zu lösen gilt.
    Â 
    S wolkami schit, po woltschi wyt. Wenn du mit Wölfen leben willst, heule mit den Wölfen.
    Â 
    Russisch geht einer Vierzehnjährigen nicht leicht von den Lippen, die das Deutsche gewohnt sind. »Noch einmal, Hoheit, nur weicher. Die Russen mögen keine Ausländer.«
    Monsieur Abadurows Stimme dröhnt wie eine Kirchenglocke. Er ist ihr Lehrer, und er bringt ihr bei, dass die russischen Substantive je nach Position im Satz verschiedene Endungen haben: » Bolschoi chleb «, sagt er, »aber chleba net .«
    Die russischen Namen können alle möglichen Formen annehmen. Aus Alexander wird Sascha. Aber Sascha kann auch
eine Form von Alexandrine sein und somit ein weiblicher Vorname. Sascha kann zu Saschenka werden so wie Grigori zu Grischa oder zu Grischenka oder zu Grischenok.
    Verwirrend. Aber man kann es auswendig lernen. Mit den russischen Märchen ist es nicht so leicht. Da ist der Narr einer, der vielleicht ein bisschen langsam und schmutzig ist, aber er versteht die Sprache der Vögel und wilden Tiere, darf am Ende die Tochter des Zaren heiraten und wird der weiseste aller Herrscher. Wer soll daraus schlau werden?
    Â 
    S kem powedjoschsja ot togo i neberjoschsja. Mit wem man umgeht, dessen Sitten nimmt man an.
    Â 
    Aus der Nähe betrachtet, ähnelt Elisabeths Haut einem frischen Gemälde. Dicke Schichten Puder kaschieren die roten Äderchen auf der Nase, die Kratzer und Falten an ihrem Hals. Unter den Achseln
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