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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht
Autoren: Eva Stachniak
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einem Pfeil durchbohrt wird, befindet sich eine versteckte Tür. Sie ist verschlossen, und wenn man durchs Schlüsselloch schaut, sieht man nichts als schwarze Dunkelheit. Sophie bemerkt, dass die Cremetiegel auf ihrer Frisierkommode während ihrer Abwesenheit verschoben wurden, dass jemand die Ordnung der Papiere in ihren Schreibtischschubladen, sogar in denen, die abgesperrt waren, durcheinandergebracht hat. Jemand muss das Kästchen mit ihren Schönheitspflastern geöffnet haben, denn eines davon liegt auf dem Teppich. Jemand hat sich an der Wäsche in ihrem Schrank zu schaffen gemacht, jemand hat ihre Bücher durchgeblättert.
    Sie wird überwacht. Die Spione hinterlassen fremde Gerüche nach staubigen Korridoren und abgestandenem Essen in ihren Räumen. Wonach suchen sie? Nach Fehlern und Vergehen? Oder im Gegenteil nach Beweisen ihres guten Willens?
    Â 
    Bez kota myscham rasdolje, schreibt ihr Lehrer in großen sauberen Buchstaben auf ein Blatt. Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse.
    Â 
    Die Korridore des Palasts sind leer, seit die Kaiserin fort ist. Die wenigen Dienstboten, denen man hie und da begegnet, flüstern und kichern miteinander. Wachposten gähnen. Pagen hören nur mit einem Ohr zu, wenn man ihnen einen Auftrag erteilt, und vergessen gleich wieder, was sie tun sollen.
    Peter hat aufgehört, Russisch zu sprechen. »Jag Abadurow zum Teufel, Sophie«, sagt er. Auf seinem Schreibtisch liegen Papiere herum, aber es ist nicht Passauer Kunst. Er hat jetzt ein neues Projekt. Er durchforscht alle Briefe, die er von König Friedrich von Preußen erhalten hat, nach Maximen, die er in eine Sammlung bedeutender Aussprüche des großen Mannes aufnehmen will. Etwa von dieser Art: Ein General darf sich nie auf eine Schlacht einlassen, wenn er nicht dem Feind gegenüber im Vorteil ist. Manchmal ist ein Rückzug notwendig.
    Â»Schreib sie für mich ab, Sophie«, befiehlt Peter. »Deine Maman sagt, du hast eine schöne Handschrift.«
    Â 
    Gde tonko – tam i rwjozja. Es bricht immer an der dünnsten Stelle.
    Â 
    Â»Bitte, Maman«, sagt sie flehend.
    Aber Maman mustert sie mit dem kühl abschätzenden Blick einer Konkurrentin. »Was willst du jetzt schon wieder von mir?«, fragt sie gereizt.
    Â»Mach Schluss mit Chevalier Bezkoy. Die Leute reden.«
    Â»Die Leute reden immer, Sophie.«
    In ihren Augen ist noch mehr zu lesen. Dass ihre Tochter nichts von ihren Enttäuschungen weiß. Dass eine Frau sich das Glück nehmen muss, solange es noch möglich ist. Dass eine Frau ungestillte Bedürfnisse haben kann, auch wenn sie mit einem guten und anständigen Mann verheiratet ist.
    Â»Was ist, wenn die Kaiserin davon erfährt?«
    Mamans Hand ist so schnell, dass Sophie nicht ausweichen
kann. Der Schlag trifft sie hart ins Gesicht. »Ich bin deinetwegen hier, Sophie. Deinetwegen habe ich das alles auf mich genommen. Ist das jetzt der Dank?«
    Ihre Wange brennt.
    Â»Wir sind in Russland, Maman.«
    Â»Was willst du mir damit sagen, Sophie? Dass wir vor denen kuschen müssen? Dass wir vergessen sollen, wer wir sind? Dass wir nach ihrer Pfeife tanzen sollen?«
    Maman hebt wieder die Hand, aber jetzt ist Sophie gewarnt und weicht einen Schritt zurück. Die Hand bleibt in der Luft stehen und sinkt dann nieder.
    Â 
    Untertags, wenn Maman weg ist, kommen ein paar alte Hofdamen zu Sophie. Sie sollen ihr Gesellschaft leisten und auf sie aufpassen.
    Alle, die am Hof auch nur die geringste Bedeutung haben, begleiten die Kaiserin. Die Damen, die im Salon der Prinzessin von Anhalt-Zerbst sitzen, wissen das. Sie scherzen darüber, dass sie unsichtbar geworden sind. Uninteressant für die Männer, zu unbedeutend, als dass andere Frauen sich mit ihnen abgeben.
    Sie reden über die Kälte in Moskau, die ihre alten Knochen schlecht vertragen. Über die faulen Dienstboten, die nicht ordentlich heizen, um das eingesparte Brennholz heimlich zu verhökern. Über einen Lakaien, der einen Kanarienvogel seiner Herrin gestohlen und auf dem Markt verkauft hat. Damit sie ihm nicht auf die Schliche kommt, hat er einen toten Spatz in den Käfig gelegt – er dachte tatsächlich, sie merkt es nicht! Oft kommt die Unterhaltung zum Erliegen. Dann seufzen sie und suchen angestrengt nach Gesprächsstoff, der die junge Prinzessin erheitern könnte.
    Wenn sie, um sie zu erlösen, so tut, als
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