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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht
Autoren: Eva Stachniak
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energisch und hellwach. Er streift das Bett, und ein Funke Neugier flammt in ihren Augen auf.
    Â»Wer bist du?«, fragt Maman streng.
    Das Mädchen schlägt die Augen nicht nieder. »Ich komme im Auftrag des Großfürsten«, sagt sie gelassen. »Die Prinzessin von Anhalt-Zerbst hat versprochen, für Seine Hoheit die Maximen Friedrichs des Großen abzuschreiben. Wie lange gedenkt die Prinzessin noch unpässlich zu sein?«
    Maman runzelt die Stirn. Sie erwartet Demut und Respekt vom Personal, selbst in Russland. »Ich habe gefragt, wer du bist!«
    Das Mädchen zögert, nur einen Moment, aber lange genug, um Maman noch weiter zu reizen. »Die Vorleserin Seiner Hoheit, des Großfürsten. Ihre kaiserliche Majestät möchte, dass der Großfürst seine Augen nicht überanstrengt.«
    Â»Wie heißt du?«
    Â»Warwara Nikolajewna, Euer Hoheit.«
    Â 
    Eine Vorleserin? Wie lange schon? Was liest sie vor? Was sieht sie, das ich nicht sehe?
    Â 
    Aber Maman hat sich schon von ihr abgewandt und schenkt ihr keine Beachtung mehr. »Wir müssen Peter bei Laune hal
ten, Sophie«, sagt sie, als wären sie und ihre Tochter allein im Raum. »Wir dürfen ihm nicht das Gefühl geben, wir kümmerten uns nicht genug um ihn.«
    Â»Natürlich, Maman«, sagt sie, aber anders als ihre Mutter kann sie Warwara Nikolajewnas Anwesenheit nicht ignorieren. Nicht nur, weil sie gerne mit ihr über Peter sprechen würde, sondern auch, weil etwas an dem Mädchen sie an Papa erinnert. An sein aufmunterndes Nicken, wenn ihr die Tränen kamen, weil ihr irgendetwas, das man ihr aufgetragen hatte, einfach nicht gelingen wollte. An die Art, wie er ihr die Hand auf die Schulter legte, um sie davon abzuhalten, auf ein Vogelnest im Gras zu treten.
    Â»Schreib, was ich dir diktiere. In deiner besten Handschrift«, befiehlt Maman.
    Â 
    â€¦ es tut mir sehr leid, dass sich die Ausführung Ihres großen und bedeutenden Werks durch meine Schuld verzögert. Ich verspreche Ihnen, bald wieder ganz gesund zu werden, und will gerne schon jetzt die Arbeit wiederaufnehmen, soweit es meine Kräfte erlauben.
    Â 
    Als sie fertig ist, nimmt Maman das Blatt und wirft einen kritischen Blick darauf. Unzufrieden runzelt sie die Stirn. »Deine Buchstaben sind zu klein und zu unregelmäßig. Und da in der Ecke hast du Tinte verschmiert. Willst du, dass Peter dich für schlampig hält?«
    Â»Nein, Maman.«
    Â»Dann schreib es noch einmal.«
    Ungeduldig geht Maman auf und ab, versunken in Gedanken über ihre eigenen Pläne. Vor der Tür sind Schritte zu hören. Ein Mann räuspert sich.
    Â»Beeil dich, Sophie.«
    Sie schreibt den Brief noch einmal und bemüht sich um eine gestochen saubere Schrift. Maman ist zufrieden, oder vielleicht
will sie auch nur nicht länger warten. Sie faltet das Papier zusammen. Das Mädchen steht bewegungslos da, den Kopf erhoben, die Lippen zusammengekniffen. Unterdrückt sie ein verächtliches Lächeln?
    Â»Also dann. Bring ihn deinem Herrn.« Mamans Kinn deutet mit einer knappen Bewegung in Richtung der Tür.
    Das Mädchen macht einen Schritt nach vorn, und einen Moment lang sieht es so aus, als würde Maman sie schlagen. Aber dann ist von draußen ein sorgloses Lachen zu hören, und Maman entspannt sich. Es ist immer wieder erstaunlich, wie Maman sich von einem Moment zum nächsten verwandeln kann, denkt Sophie. Wie alle Bitterkeit von ihr abfällt, wie ihre Augen plötzlich funkeln und leuchten. Maman gibt der Vorleserin das Schreiben und eilt aus dem Zimmer.
    Der Brief verschwindet in den Falten von Warwaras Kleid.
    Â 
    Bilder hängen in den Korridoren des Palasts. Auf einem ist ein bärtiger Mann zu sehen, der auf ein Brett gebunden ist. Eine Klinge blitzt, eine Volksmenge wartet auf das Schauspiel der Hinrichtung. Auf einem anderen reiten Bewaffnete auf kurzbeinigen struppigen Steppenpferden. Es sind kleine, unscheinbare Tiere, aber sie können viele Meilen zurücklegen, ohne zu ermüden. Warum sind die Steigbügel so hoch angebracht? Damit der Reiter stehend reiten kann, wenn er in vollem Galopp mit dem Bogen schießen will. Im Sitzen würde er zu sehr durchgeschüttelt werden und könnte nicht genau zielen.
    Sie ist vierzehn. Sie hat gelernt, das eine zu sagen und das andere zu meinen. Aber sie ist hier fremd. Ihre Augen und Ohren sind noch nicht genügend
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