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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht
Autoren: Eva Stachniak
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breiten sich dunkle Flecken aus, aber ihr Parfüm überdeckt den Schweißgeruch. Die Schönheit ist aufgemalt, Creme und Farbe verbergen die Geheimnisse ihrer Nächte. Auf den Korridoren des Palasts verschlingen gut gebaute junge Männer die Kaiserin mit den Augen, wenn sie vorbeigeht. Wenn sie ihren Fächer, eine Feder, ein Haarband fallen lässt, balgen sie sich darum wie wilde Hunde.
    Â»Enttäusche mich nicht, Sophie, dann wird dich die Jungfrau von Kasan schützen.«
    Nur in der von Weihrauchdunst geschwängerten Stille der schummrigen Kapelle lässt Elisabeth Gedanken an Tod und Ewigkeit zu, und die irdischen Freuden treten in den Hintergrund. Vor den Heiligen, die von den Ikonen milde auf sie hinabblicken, fleht sie um Gnade und Erbarmen und bereinigt ihre Rechnung mit Gott.
    Auch das ist Russland. Der süße Duft des Weihrauchs. Der Schimmer der Votivlampen, die die hageren, langgezogenen Gesichter der Heiligen beleuchten. Die Gläubigen, die in Betrach
tung jener anderen wahren Welt versunken sind. Russland misstraut allem Wissen, allem Argumentieren, denn alles Urteilen ist von Übel. Ergibt sich dem Leid und Gottes Willen. Russland ist ein Rätsel, das nicht zu lösen ist. Wenn man einen Code entschlüsselt hat, tritt sogleich ein anderer an seine Stelle.
    Â 
    Peters Hunde liegen hechelnd vor dem Kamin. Einer schnüffelt an seinen Hoden. Der andere knurrt leise, als sie vorbeigeht, aber er scheint es nicht böse zu meinen, denn er wedelt dabei mit dem Schwanz. »Wieso bekreuzigst du dich wie die Russen, Sophie?«, fragt Peter, als sie sich vor den Ikonen in seinem Zimmer verneigt und das orthodoxe Kreuzzeichen schlägt: mit drei Fingern, die rechte Schulter zuerst. »Hier sieht dich doch niemand.«
    Sie sitzen zusammen in seinem Zimmer und spielen Schach, ein Spiel, das viele Gefahren birgt. Ihre seidenen Pantoffeln drücken an den Zehen, darum hat Sophie sie ausgezogen.
    Â»Wieso kannst du nicht mehr wie deine Mutter sein, Sophie?«, fragt Peter und schiebt einen Bauern drei Felder vor in der Hoffnung, sie werde es nicht bemerken. Seine Finger sind lang und ein bisschen krumm. Seine Wimpern sind fast weiß. »Deine Maman ist nicht so stur wie du.«
    Peters grüne Preobraschenski-Uniform, die er auf Anordnung seiner Tante trägt, ist nicht ordentlich zugeknöpft und an den Manschetten schmutzig. »Rede mit ihm über Holstein, wenn er das gerne möchte«, sagt Maman immer. »Oder willst du, dass du zurückgeschickt wirst nach Zerbst?«
    Beim Schach muss man andauernd Entscheidungen treffen. Man opfert einen Bauern, um einen Springer zu schlagen. Man bewertet jede Position, versucht die nächsten Züge des Gegners vorauszusagen, hält Ausschau nach Schwachstellen. Oder man duldet, dass der Gegner schummelt, und lässt ihn in dem Glauben, er sei unbesiegbar.
    Â 
    Wenn ich Peter gefalle, missfalle ich der Kaiserin.
    Wenn ich der Kaiserin gefalle, missfalle ich Peter.
    Â 
    Peter ist des Spiels schon bald überdrüssig.
    Â»Schau mal, Sophie«, sagt er, »schau mal, was ich hier habe.« Auf dem Tisch ist ein schwarzes Seidentüchlein ausgebreitet. Darunter liegt etwas. Keine andere Frau hat gesehen, was Peter ihr nun zeigen wird. Es ist hundert Jahre alt. Man hat es ihm aus Eutin geschickt.
    Er murmelt etwas, aber das, was sie verstehen kann, ergibt nicht sehr viel Sinn. »Kaspar, der Scharfrichter … mit eigenen Händen … um Mitternacht bei Neumond …« Dann wirft er sich in Pose und fragt sich mit eingeübter Emphase, ob er es wirklich und wahrhaftig wagen soll, das Geheimnis vor einer schwachen Frau zu enthüllen.
    Sie wartet geduldig. Er ist eine Plaudertasche. Er ist gar nicht fähig, ein Geheimnis für sich zu behalten.
    Peter lüftet das Tuch. Papierstreifen werden sichtbar, auf die etwas geschrieben ist. »Passauer Kunst«, sagt er strahlend vor Stolz.
    Sie streckt die Hand nach einem der Zettel aus.
    Â»Nicht!«, schreit er und schlägt sie auf die Hand.
    Sie lässt sich ihren Ärger nicht anmerken. »Was ist das, Peter?«, fragt sie.
    Â»Ein Zauber«, sagt er, und seine langen Finger schweben über den Papierstreifen. »Wer so ein Amulett bei sich trägt, ist unbesiegbar.«
    Sie lacht nicht. Sie macht sich nicht über den feierlichen Ton lustig, in dem er spricht.
    Â»Sind die extra für dich gemacht worden?«
    Er zeigt
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