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Die wundersame Reise einer finnischen Gebetsmühle

Die wundersame Reise einer finnischen Gebetsmühle

Titel: Die wundersame Reise einer finnischen Gebetsmühle
Autoren: Arto Paasilinna
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zu Lauris Wohnung, um dessen Frau Irma abzuholen. Der Sohn war noch nicht zu seinem Armeeurlaub eingetroffen, und die Töchter verbrachten das Wochenende auswärts, aber Irma hatte die Zeit und auch den Wunsch, mit nach Hanko zu kommen, um Näheres über das Schicksal ihres im Meer verschollenen Mannes zu erfahren.

4
    Kalle Homanen und Irma Lonkonen fuhren nach Hanko, wo sie in einem Salon des Kasinos Posten bezogen. Zu diesem Zeitpunkt war es schon fast elf Uhr, und sie konnten nur hoffen, dass Lauri sich weiterhin auf den Beinen hielt. Zum Glück war der Wind, der am Morgen aufgekommen war, nicht sehr kräftig. Im Hafen von Hanko war noch alles ruhig, aber draußen auf dem offenen Meer sah es womöglich ganz anders aus.
    Über dem Inselarchipel kreisten ein Rettungsflugzeug und ein Helikopter. Kalle Homanen hatte einige Male Sprechkontakt mit den Piloten. Man erzählte ihm, dass das Wasserflugzeug weite Kreise über dem ganzen westlichen Inselarchipel flog, um sich einen Gesamteindruck vom Suchgebiet zu verschaffen. Der Helikopter hingegen prüfte jeweils Abschnitte von einem oder zwei Kilometern Ausdehnung. Das Flugzeug flog in zwei Kilometern, der Helikopter nur in dreihundert Metern Höhe. So waren gute Sicht und genaue Beobachtung garantiert.
    Lauris beide Töchter und auch der Sohn trafen im Kasino ein, die Mutter hatte sie inzwischen über das Unglück informiert. Man verharrte in verzweifelter Anspannung.
    Mittags gegen dreizehn Uhr klingelte Kalles Handy. Lauri meldete sich und erzählte, dass er das Flugzeug und bald darauf auch den Helikopter am Himmel gesehen habe. Um auf sich aufmerksam zu machen, habe er beide Arme geschwenkt und sicherheitshalber auch noch einige der roten russischen Kinderstiefel ins Wasser geschleudert. Zumindest im Helikopter habe man ihn und seine Zeichen bemerkt.
    »Ehrlich gesagt, die nächste Nacht hätte ich nicht mehr durchgehalten, es ist ganz schön hart, so im Meer zu stehen.«
    Am Nachmittag wurde Lauri Lonkonen mit dem Wasserflugzeug nach Hanko und auf direktem Wege ins Gesundheitszentrum gebracht, damit er sich ausruhen und man ihn untersuchen konnte. Seine Frau und die Kinder durften ihn noch am selben Abend besuchen, später auch Kalle Homanen. Der brachte seinem Freund zur Förderung der Genesung die Zeichnungen von der Gebetsmühle mit. Zwar war das Gerät erst in der Entwicklungsphase, und es existierte noch nicht mal ein Prototyp, aber vielleicht würde das Studium der Zeichnungen den Patienten dazu animieren, aus tiefstem Herzen ein Gebet zum Himmel zu schicken und sich für seine Rettung zu bedanken.
    »Aber ich bin ja gar nicht gläubig, bin auch kein Hindu und kein tibetanischer Mönch.«
    Kalle fand, dass es keine Rolle spielte, welchem Glauben man angehörte und welchem Gott man am Ende für seine Rettung dankte. Sämtliche Götter verstanden sich aufs Anhören von Gebeten, sodass sie einen dankbaren Gruß durchaus registrierten, egal, ob der gerettete Erdenmensch ein geschasster finnischer Entwicklungschef oder ein tibetanischer Mönch war.
    Nach diesem Austausch lockerer Sprüche wurde Lauri ernst und erzählte von seiner Notsituation auf dem Unterwasserfelsen im Meer. Er hatte tatsächlich um sein Leben gebetet, obwohl er überhaupt nicht gläubig war. Das kalte Meer war wie ein strenger Gott gewesen, der Mensch darin wie ein kleiner kümmerlicher Halm. Oder besser gesagt war das Meer bedrohlich wie der Teufel und die ganze neblige Unendlichkeit wie eine kalte Hölle gewesen.
    Lauri sagte, dass er in jungen Jahren sogar mal atheistisches Gedankengut vertreten habe und später eine Art Agnostiker geworden sei. Er hielt sich für einen Freidenker, der eigentlich sein ganzes Leben lang ohne die strengen Regeln der Religion und ohne Gottesbegriff ausgekommen war. Für ihn war Gott kein ernst zu nehmender Gegner gewesen, auch kein Helfer, der einen in den schwierigen Situationen des Lebens unterstützte oder wenigstens für Erleichterung sorgte. Aber jetzt, da Lauri diese schlimme Erfahrung machte, siehe da, hatte auch er sich im Augenblick der Not zumindest unbewusst an eine höhere Macht gewandt. Er hatte Zeit gehabt, sich das Wesen Gottes vorzustellen, und es hatte nicht dem weit verbreiteten Bild vom weißbärtigen alten Mann entsprochen. Gott erinnerte nicht an den Weihnachtsmann, auch nicht an einen Menschen, sondern Gott war die gesamte Schöpfung, er war das gewaltige Meer, verkörperte eine riesige Kraft, die bis zu den Wolken und noch höher hinauf
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