Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die wunderbaren, aber wahrhaftigen Abenteuer des Kapitäns Corcoran

Die wunderbaren, aber wahrhaftigen Abenteuer des Kapitäns Corcoran

Titel: Die wunderbaren, aber wahrhaftigen Abenteuer des Kapitäns Corcoran
Autoren: Alfred Assolant
Vom Netzwerk:
hätte es sicher getan, wenn sich seine Zunge nicht in den Händen des Feindes befunden hätte.
    Bis hierher war der Kampf gleich, und ich wußte nicht, wem ich mehr Glück gönnen sollte, denn schließlich war Louisons Absicht nicht löblich gewesen und ihr Scherz für ihren Gegner ziemlich unangenehm – aber Louison war so schön! Sie bewies soviel Anmut in ihrer Erscheinung, soviel Geschmeidigkeit in ihren Gliedern, soviel Würde in ihren Bewegungen. Sie ähnelte einer jungen Katze, die unter den Augen der Mutter in der Sonne spielt.
    Aber zum Teufel! Sie wälzte sich ja schließlich nicht aus Spaß im Sand und stieß Schreie aus, die den Urwald ringsumher erzittern ließen. Die in gebührender Entfernung auf ihren Kokospalmen hockenden Affen beobachteten keckernd diesen schrecklichen Kampf. Die Paviane schnitten Louison Fratzen und äfften – den Daumen an der Nasenspitze und die übrigen Finger abgespreizt – die bekannte Geste der Pariser Gassenjungen nach. Einer von ihnen, der mehr Mut als die anderen zeigte, schwang sich von Ast zu Ast bis etwa sechs oder sieben Fuß über die Erde herab und kraulte ihr, sich mit dem Schwanz an einem Stamm festhaltend, mit den Fingerkuppen die Schnauze. Bei diesem Anblick brachen alle Paviane in lautes Gelächter aus; aber Louison machte eine so energische und drohende Bewegung, daß der junge Pavian, der sie gereizt hatte, den Schwanz einkniff und sich trollte, glücklich darüber, den mörderischen Zähnen seines Feindes entronnen zu sein.
    Währenddessen versuchte das Krokodil die arme Tigerin in den Fluß zu ziehen. Sie verdrehte die Augen zum Himmel, als wolle sie ihn um Erbarmen anflehen oder doch wenigstens zum Zeugen ihres Martyriums machen, und senkte sie – zufällig? – wieder auf mich.
    Was für schöne Augen! Welche Erhabenheit und hinschmelzende Ergriffenheit in diesem Blick voller Todesangst. Arme Louison!
    Im selben Augenblick hatte das Krokodil Louison halb unter Wasser gezogen. Da entschloß ich mich.
    Das kochende Wasser des Flusses zeigte Louisons Anstrengungen, sich zu befreien. Ich wartete eine halbe Minute, den Karabiner im Anschlag, den Finger am Abzug, das Auge auf das Ziel fixiert.
    Louison, die, wenn Sie so wollen, ein Tier, aber keine Bestie ist, hatte sich in ihrer Verzweiflung mit der freien Pfote an einen echten Baumstamm geklammert, der am Ufer des Flusses lag.
    Dieser Reflex rettete ihr Leben.
    Sich mit aller Kraft gegen die Absicht des Krokodils sträubend, gelang es ihr, den Kopf über Wasser zu halten und, sich an den Stamm klammernd, der schlimmsten Gefahr – ertränkt zu werden – zu entgehen.
    Mit der Zeit mußte auch das Krokodil das Bedürfnis verspüren, Luft zu holen; und so kam es, halb gutwillig, halb gezwungen, mit Louisons Pfote im Rachen an die Oberfläche. Darauf hatte ich gewartet. In Sekundenschnelle war sein Schicksal entschieden. Es ins Visier nehmen, abdrücken, ins linke Auge treffen und das Gehirn hinwegblasen – das alles war eine Sache von zwei Sekunden. Das unglückliche Tier öffnete den Rachen und wollte stöhnen. Es peitschte den Sand und das Wasser mit seinen vier Tatzen und verschied.
    Die Tigerin hatte schon – viel schneller, als ich schießen konnte – ihre zerfetzte Pfote aus dem Rachen ihres Feindes gezogen.
    Ihre erste Regung, muß ich sagen, war keine Bekundung des Vertrauens oder der Dankbarkeit. Vielleicht meinte sie, von mir mehr befürchten zu müssen als von dem Krokodil. Sie versuchte zunächst zu fliehen. Doch das arme Tier, nur auf drei Pfoten angewiesen, kam nicht sehr weit. Schon nach zehn Schritten hatte ich sie erreicht.
    Ich versichere Ihnen, meine Herren, daß ich schon sehr viel Sympathie für sie empfand. Erstens hatte ich ihr einen unschätzbaren Dienst erwiesen, und wie Sie wohl wissen, gewinnt man seine Freunde viel eher durch die Dienste, die man ihnen erweist, als durch jene, die uns von ihnen erwiesen werden. Und zweitens schien sie mir doch einen guten Charakter zu haben, denn der Scherz, den sie sich mit dem Krokodil geleistet hatte, bewies doch eine natürliche Freude am Spiel; und der Spieltrieb, das wissen Sie ja selbst, meine Herren, ist schließlich charakteristisch für ein gutes Herz und ein ruhiges Gewissen.
    Und darüber hinaus war ich allein in einem fremden Land, fünftausend Meilen von Saint-Malo entfernt, ohne Freunde, ohne Eltern, ohne Familie. Mir schien, daß die Gesellschaft eines Freundes, der mir das Leben verdankt, selbst wenn dieser Freund vier Pfoten,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher