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Die wunderbaren, aber wahrhaftigen Abenteuer des Kapitäns Corcoran

Die wunderbaren, aber wahrhaftigen Abenteuer des Kapitäns Corcoran

Titel: Die wunderbaren, aber wahrhaftigen Abenteuer des Kapitäns Corcoran
Autoren: Alfred Assolant
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von diesem schrecklichen Gebieter gesehen?’
    Indem ich das sagte, sprang ich von dem Karren herunter und schritt dem Feind entgegen. Man sah ihn noch nicht, aber man konnte am Erschrecken und der Flucht aller anderen Tiere spüren, daß er näher kam. Die Affen beeilten sich, auf die Bäume zu klettern. Aus sicherer Höhe schnitten sie ihm ihre Grimassen und bewiesen ihren Mut. Die kühnsten versuchten sogar, ihm einige Kokosnüsse auf den Kopf zu werfen. Ich unterschied nur an der Bewegung der geknickten und raschelnden Blätter die Richtung, aus der er sich näherte. Nach und nach kam diese Bewegung immer mehr auf mich zu, und da der Weg kaum breit genug war, um zwei Karren durchzulassen, befürchtete ich, ihn zu spät zu sehen und nicht genügend Zeit zu haben, um ihn vor die Flinte zu bekommen, denn das Blätterdach verbarg ihn vollends.
    Da erkannte ich glücklicherweise, daß er ganz in meiner Nähe sein mußte, doch er beachtete mich anscheinend nicht weiter, weil er auf dem Weg zum Fluß war, um seinen Durst zu stillen.
    Endlich sah ich ihn, aber nur im Profil. Sein Maul war blutverschmiert, er sah zufrieden aus und watschelte mit weit auseinander gespreizten Beinen wie ein Rentner, der nach einem guten Frühstück auf dem Boulevard des Italiens seine Zigarre spazierenträgt.
    Zehn Schritt von mir entfernt schien ihm das trockene Schnappen meines Karabinerhahns einige Unruhe zu verursachen. Er wandte halb den Kopf, nahm mich durch das Gestrüpp, das uns voneinander trennte, wahr, blieb stehen und überlegte.
    Ich richtete mein Auge fest auf ihn, aber um ihn mit einem Schuß töten zu können, hätte ich auf die Stirn oder das Herz zielen müssen, und obwohl er sich wie ein Salonlöwe beim Fotografen in Positur gesetzt hatte, verbarg er mir diese Stellen.
    Nun, wie dem auch sei, auf jeden Fall ersparte mir die göttliche Vorsehung, daß ich an jenem Tag zu einem bedauernswerten Mörder wurde, denn dieser Tiger – oder vielmehr diese Tigerin – war niemand anders als meine liebe und charmante Freundin Louison, die uns jetzt so aufmerksam zuhört.
    Louison hatte soeben gespeist, und das war ein großes Glück für mich – aber auch für sie. Sie dachte nur daran, in Ruhe zu verdauen. Nachdem sie mich einige Sekunden zweideutig angesehen – genau mit demselben Blick, mit dem sie gerade den ständigen Sekretär mustert – hier wechselte der Sekretär den Platz und ließ sich hinter dem Präsidenten nieder –, setzte sie ihren Weg gemächlich fort und wandte sich zum Fluß, der nur einige Schritt von uns entfernt war.
    Ich marschierte hinter ihr her, den Karabiner im Anschlag und eine günstige Gelegenheit zum Schuß abwartend.
    Aber da geschah die Überraschung. Als ich mich nichtsahnend einem am Flußufer liegenden Baumstamm näherte, sah ich plötzlich, daß dieser Baumstamm Tatzen und eine Hornhaut hatte, die in der Sonne glänzte; die Augen waren geschlossen, der Rachen stand offen.
    Es war ein Krokodil, das sich wie ein Sommerfrischler auf dem Sand sonnte und dabei vor sich hin dämmerte. Kein Traum schien diesen stillen Schlummer aufzuregen. Es schnarchte friedlich, wie eben ein Krokodil, das nichts auf dem Kerbholz hat, schnarcht.
    Dieser tiefe, friedliche Schlaf, diese gottergebene und selbstvergessene Pose, ich weiß nicht, was noch, vielleicht auch die für weibliche Wesen so typische Eingebung des Teufels schien Louison zu reizen. Ich sah, wie sie ihre Lippen bleckte. Sie lächelte wie ein Schülerbübchen, das seinem Schulmeisterlein einen Streich spielen will.
    Lang und behutsam steckte sie ihre Pfote – so lang wie sie war – in den geöffneten Rachen des Krokodils. Sie versuchte doch tatsächlich, sich die Zunge des Schläfers als Dessert einzuverleiben; Louison war eben sehr naschhaft – ein Fehler ihres Geschlechts und ihres Alters.
    Aber für ihre Hinterlist wurde sie streng bestraft.
    Sie hatte kaum die Zunge des Krokodils berührt, als dessen Rachen zuschnappte. Dafür öffnete es die Augen – große Augen von meergrüner Farbe, die ich noch heute vor mir sehe – und betrachtete Louison mit einem Ausdruck des Staunens, des Zorns und des Schmerzes, der unmöglich zu beschreiben ist.
    Louison war in einer mißlichen Lage. Die arme Kleine wand sich wie ein Teufel zwischen den spitzen Zähnen des Krokodils. Glücklicherweise hatte sie sich so kräftig in die Zunge des Krokodils gekrallt, daß das Unglückstier nicht wagte, all seine Kraft anzuwenden und ihr die Pfote abzubeißen; das
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