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Die wunderbaren, aber wahrhaftigen Abenteuer des Kapitäns Corcoran

Die wunderbaren, aber wahrhaftigen Abenteuer des Kapitäns Corcoran

Titel: Die wunderbaren, aber wahrhaftigen Abenteuer des Kapitäns Corcoran
Autoren: Alfred Assolant
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dieser Mann Sanskrit, Parsi und alle lebenden und toten Sprachen Indiens beherrschen. Es ist also kein Kinderspiel, und ich schlage deshalb der Akademie vor, für diese Wahl einen Wettbewerb auszuschreiben.“
    Was auch auf der Stelle geschah; danach konnte sich endlich jeder zu Tisch begeben.
    Einige Zeit später stellten sich eine Unzahl von Bewerbern vor und wetteiferten um die Zustimmung der Akademie; aber der eine war von schwächlicher Konstitution, der andere wußte zuwenig, ein dritter konnte von den orientalischen Sprachen nur Chinesisch und Türkisch oder – man denke – Pidgin-Englisch. Kurz, es vergingen mehrere Monate, ohne daß die Akademie unter den sich vorstellenden Kandidaten eine Wahl hätte treffen können.
    Schließlich, es war der 26. Mai 1857, die Akademie tagte wieder einmal vollzählig – was nicht heißen soll, daß sie wiederum schlief –, wurde dem Präsidenten die Karte eines Fremden überbracht, der wünschte, sofort empfangen zu werden.
    Auf der Karte standen nur zwei Worte: Kapitän Corcoran. „Corcoran“, sagte der Präsident, „Corcoran? Kennt jemand diesen Namen?“
    Natürlich kannte ihn niemand. Aber die gelehrten Herren, die neugierig wie alle gelehrten Herren waren, wollten den Fremden sehen. Und so öffnete sich binnen kurzem die Tür, und auf der Schwelle stand besagter Kapitän Corcoran.
    Er war ein großer junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren, der sich natürlich gab, ohne gezierte Bescheidenheit und Stolz. Sein Gesicht war hell und bartlos. In seinen meergrünen Augen spiegelten sich Freimut und Kühnheit. Bekleidet war er mit einem Umhang aus Kamelhaarwolle, einem roten Hemd und einer weißen Drillichhose. Die beiden Enden seiner auf Matrosenart gebundenen Schleife hingen leger auf seine Brust herab.
    „Meine Herren“, sagte er schlicht, „ich habe gehört, daß Sie in Schwierigkeiten sind, und möchte Ihnen deshalb meine Dienste anbieten.“
    „In Schwierigkeiten!“ unterbrach ihn der Präsident aufgebracht. „Sie irren, mein Herr! Die Akademie der Wissenschaften zu Lyon ist nie in Schwierigkeiten, jedenfalls nicht mehr als jede andere Akademie auch. Ich würde auch zu gern wissen, was eine wissenschaftliche Gesellschaft in Schwierigkeiten bringen sollte, die unter ihren Mitgliedern – wenn ich das als der Mann, der die Ehre hat, den Vorsitz zu führen, sagen darf – soviel hervorragende Genies, soviel edle Seelen und noble Charaktere…“
    Hier wurde der Redner durch starken Beifall unterbrochen.
    „Nun, wenn es so ist“, erwiderte Corcoran, „und Sie meine Dienste nicht brauchen, dann habe ich die Ehre, mich zu empfehlen.“
    Mit diesen Worten drehte er sich um und schritt zur Tür.
    „He, Monsieur, nicht gar so schnell! Sagen Sie uns wenigstens den Grund Ihres Besuches“, hielt ihn der Präsident zurück.
    „Nun ja“, erwiderte Corcoran, „Sie suchen das Gurukaramta, nicht wahr?“
    Der Präsident lächelte wohlwollend und ironisch zugleich.
    „Und Sie, Monsieur“, sagte er, „wollen es finden?“
    „Ja, ich.“
    „Sie kennen die testamentarischen Bedingungen von Monsieur Delaroche, unserem klugen und bedauernswerten Kollegen?“
    „Ich kenne sie.“
    „Sie sprechen englisch?“
    „Wie ein Professor aus Oxford.“
    „Können Sie uns den Beweis liefern?“
    „Yes, Sir“, antwortete Corcoran. „You are a stupid fellow. Möchten Sie weitere Beweise meiner Sprachkenntnis?“
    „Nein, nein“, beeilte sich der Präsident zu versichern, der in seinem ganzen Leben die Sprache Shakespeares noch nie gehört hatte, außer im Theater des Palais Royal. „Sehr überzeugend, Monsieur… Und Sie verstehen auch Sanskrit, vermute ich?“
    „Falls zufällig einer der Herren einen Band des Bhagavadgita bei sich haben sollte, könnte ich es Ihnen sofort beweisen.“
    „Oh, oh“, flötete der Präsident. „Nicht nötig. Und Parsi und Hindi?“
    Corcoran hob die Schultern.
    „Kinderspiel.“
    Und sofort begann er in einer allen unbekannten Sprache eine Rede, die länger als zehn Minuten dauerte. Die Akademiemitglieder betrachteten ihn verblüfft.
    „Bei dem Planeten, den Monsieur Le Verrier entdeckt hat!“ meinte der Präsident entzückt. „Ich habe nicht ein Wort verstanden!“
    „Nun“, erwiderte Corcoran, „das ist Hindi. Man spricht es unter anderem in Kaschmir, Nepal, im Königreich Lahore, Multan, Audh, Bengalen, Dekan, an der Malabarküste, in Coimbatore, Maisur, Assam, Kornatak, Bihar, Berar, Nagpur, Radschastan, im Pandschab
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