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Die Witwen von Paradise Bay - Roman

Die Witwen von Paradise Bay - Roman

Titel: Die Witwen von Paradise Bay - Roman
Autoren: Random House
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wusste ich, dass sie gestorben ist.«
    Warum bin ich die einzige Frau in dieser Familie, die keine Visionen hat? Ich dachte immer, eine übersinnliche Ader wäre erblich, aber vielleicht muss man bloß alt und verrückt sein.
    »Sei stark, Prissy«, sagt Tante Sade. »Es ist sicher schwer für dich, erst deinen Mann und nun deine Mutter zu beerdigen, und all das innerhalb weniger Monate. Wir kommen, sobald es geht, und bis dahin gib gut auf dich acht.«
    »Das mach ich«, grunze ich und lege auf. Selbst vom Grab aus sabotiert Mom noch mein Leben. Denn dass Howie nicht an der Beerdigung meiner Mutter teilnimmt, ist undenkbar. Ich gehe zu Charlie und weise ihn darauf hin, dass Tante Sade erstens sehr lebendig ist, aber zweitens Howie für sehr tot hält.
    Charlie sitzt am Küchentisch und lacht. »Scheiße, wie willst du das erklären? Er ist einer der Sargträger, oder?«
    »Ich hab keine Ahnung, Charlie. Und ich bin zu müde, um darüber nachzudenken.« Ich drücke mir gegen das Nasenbein, um einen aufkeimenden Kopfschmerz zu bekämpfen.
    »Und wenn er sich bis Donnerstag einen Bart wachsen lässt? Mit Bart und Sonnenbrille würde ihn vielleicht niemand erkennen. Wir sagen dann, er sei ein Cousin aus Halifax.«
    Ich gehe auf Charlies Vorschlag nicht weiter ein, aber er erscheint mir plausibel. Es könnte funktionieren, und das macht mir Angst. Werde ich schon genauso verrückt wie Mom, nur weil ich so etwas in Erwägung ziehe?
    »Wo steckt Howie überhaupt?« Seit Mom ins Beerdigungsinstitut gebracht wurde, habe ich weder ihn noch Quentin gesehen.
    »Er ist mit Quentin in die Stadt gefahren, um die Todesanzeige aufzugeben. Und danach wollte er zu Hayward’s, um irgendwas zu erledigen. Er braucht nur ein paar Stunden, sagt er. Und dass du dich hinlegen sollst, er bringt Abendessen mit.«
    Etwa so Banales zu tun wie schlafen, essen, duschen oder spülen, kommt mir seltsam vor, so unmittelbar nach dem Tod meiner Mutter. Es fühlt sich nicht richtig an, an ihrem Küchentisch zu sitzen, wo sie doch ihren Platz niemals mehr einnehmen wird.
    »Ich vermisse sie«, sage ich.
    »Ich auch.«
    Zu meiner Verblüffung sieht Mom gut aus. Ich hatte Angst, man würde sie unter dicken Make-up-Schichten gar nicht erkennen, denn der Beerdigungsunternehmer wusste ja nicht, dass sie sich niemals geschminkt hat. Ich hatte mir schon ausgemalt, wie sie mit rosa Rouge, blauem Lidschatten und grell geschminkten Lippen vor uns liegen würde, aber sie wirkt vollkommen anders. Ich kann kaum fassen, dass dies die Frau ist, die vor anderthalb Tagen aus ihrem Bett geholt wurde. Ihre Wangen glänzen fast natürlich rosa, und die Falten um Augen und Mund sind weicher. Die Hände sind gefaltet, und Mom scheint sogar ein wenig zu lächeln, als ob sie irgendetwas aushecken würde. Ich betrachte sie in Ruhe, bevor alle anderen die Gelegenheit erhalten, sich von meiner Mutter zu verabschieden. Charlie steht wie ein Bodyguard an der Tür, die Beine breit, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Mit schwarzer Anzughose und weißem Hemd ist er kaum wiederzuerkennen. Er trägt einen Pferdeschwanz und hat sich das Ziegenbärtchen abrasiert und sieht im Gesicht nun ganz wie mein altvertrauter Bruder aus. Howie bespricht mit dem Leiter des Beerdigungsinstituts die Einzelheiten von Begräbnis und Messe. Quentin sitzt in den gleichen Kleidern, die er zu seiner Gerichtsverhandlung getragen hatte, in einem Plüschsessel und wirkt, als würde er sich vor dem Leichnam seiner Großmutter zu Tode fürchten.
    »Komm und verabschiede dich«, sage ich und winke ihn herbei. Quentin steht widerwillig auf, stellt sich neben den Sarg und schaut hinein.
    »Sie sieht gar nicht tot aus«, sagt er und schiebt die Hände in die Taschen.
    »Sie haben sie richtig schön gemacht, nicht wahr?«
    »Ja, wie ’ne Wachspuppe.«
    »Der Sarg sieht gut aus, oder?« Quentin zuckt mit den Schultern.
    »Ich finde die Szene, die du gemalt hast, wundervoll. Wirklich schön. Und Mom war begeistert.« Ich hätte es mir nie erträumt, dass ich meinen Sohn einmal dafür loben würde, beim Bau des Sargs meiner Mutter geholfen zu haben, aber der Sarg ist wirklich unvergleichlich. Ich weiß nicht, wie die anderen Trauergäste darauf reagieren werden, denn er ist recht gewagt, aber damit entspricht er dem Wesen meiner Mutter.
    Ich bin froh, als die Türen endlich geöffnet werden und die Aufbahrung offiziell beginnt. Georgia und Fred kommen gemeinsam mit Lottie und Marianne. Dann Tante Sade und Onkel
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