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Die Weiße Rose

Die Weiße Rose

Titel: Die Weiße Rose
Autoren: Inge Scholl
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hatte in einer großen Studentenversammlung den Studentinnen zugerufen, sie sollten sich während des Krieges nicht länger an den Universitäten herumdrücken, sondern »lieber dem Führer ein Kind schenken«.
    Die Studenten hatten einen Professor entdeckt, der war, wie einer versicherte, das beste Stück an der ganzen Universität. Es war Professor Kurt Huber, Sophies Lehrer in Philosophie, der sich daneben besonders in der Volksliedforschung einen Namen gemacht hat. Bei ihm erschienen auch die Mediziner in den Vorlesungen, und man mußte früh da sein, wenn man einen Platz bekommen wollte. Wo Huber politisch stand, war für die Gesinnungsgenossen unter den Studenten unschwer aus seinen versteckten Anspielungen in seinen Vorlesungen herauszuhören. Er las über Leibniz und seine Theodizee. Es waren herrliche Vorlesungen. Theodizee, das heißt Rechtfertigung Gottes. Die Theodizee war ein großes und schwieriges Kapitel der Philosophie. Besonders schwierig im Krieg. Denn wie lassen sich in einer Welt, über die Mord und Not rast, die Spuren Gottes erkennen?
    Wenn aber ein Lehrer wie Huber sie aufwies, wurde solche Deutung zum unvergeßlichen Erlebnis, das Licht auf eine Gegenwart warf, die sich nicht nur über Gottes Ordnung hinwegsetzen, sondern Gott selbst ausmerzen wollte. Es dauerte nicht lange, da hatte Hans Bekanntschaft mit Professor Huber angeknüpft, und nun kam auch dieser zuweilen in ihren Kreis und diskutierte mit ihnen. An allen ihren Problemen war er ebenso brennend interessiert wie sie selbst. Und obgleich seine Haare schon grau wurden, war er ihresgleichen.
     
    Noch kaum sechs Wochen war Sophie in München, da ereignete sich etwas Unglaubliches an der Universität. Flugblätter wurden von Hand zu Hand gereicht, Flugblätter, von einem Vervielfältigungsapparat abgezogen. Eine merkwürdige Erregung entstand unter der Studentenschaft. Triumph und Begeisterung, Ablehnung und Wut wogten und schwelten durcheinander. Sophie jubelte heimlich, als sie davon hörte. Also doch, es lag in der Luft. Endlich hatte einer etwas gewagt. Begierig griff sie nach einem der Blätter und begann zu lesen. ›Die Flugblätter der Weißen Rose‹, stand darüber geschrieben. »Nichts ist eines Kulturvolkes unwürdiger, als sich ohne Widerstand von einer verantwortungslosen und dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique ›regieren‹ zu lassen …« Sophies Augen flogen weiter. »Wenn jeder wartet, bis der andere anfängt, werden die Boten der rächenden Nemesis unaufhaltsam näher und näher rücken, dann wird auch das letzte Opfer sinnlos in den Rachen des unersättlichen Dämons geworfen sein. Daher muß jeder einzelne seiner Verantwortung als Mitglied der christlichen und abendländischen Kultur bewußt in dieser letzten Stunde sich wehren, soviel er kann, arbeiten wider die Geißel der Menschheit, wider den Faschismus und jedes ihm ähnliche System des absoluten Staates. Leistet passiven Widerstand –
Widerstand
 –, wo immer Ihr auch seid, verhindert das Weiterlaufen dieser atheistischen Kriegsmaschine, ehe es zu spät ist, ehe die letzten Städte ein Trümmerhaufen sind, gleich Köln, und ehe die letzte Jugend des Volkes irgendwo für die Hybris eines Untermenschen verblutet ist. Vergeßt nicht, daß ein jedes Volk diejenige Regierung verdient, die es erträgt …«
    Sophie kamen diese Worte seltsam vertraut vor, als seien es ihre eigensten Gedanken. Ein Verdacht erhob sich in ihr und griff mit eisiger Hand nach ihrem Herzen. Wie, wenn Hans’ Bemerkung von dem Vervielfältigungsapparat mehr als ein achtlos hingesprochenes Wort gewesen wäre? Aber nein, nie und nie!
    Als Sophie aus der Universität in die helle Sonne heraustrat, wich die Beklemmung von ihr. Wie hatte sie nur auf diesen wahnsinnigen Verdacht kommen können! In München brodelte es nun einmal an allen Ecken vor heimlicher Empörung.
    Wenige Minuten später stand sie in Hans’ Zimmer. Es roch nach Jasmin und Zigaretten. An den Wänden hingen, mit Stecknadeln angeheftet, einige Drucke neuerer französischer Malerei. Sophie hatte ihren Bruder heute noch nicht gesehen, wahrscheinlich war er in der Klinik. Sie wollte auf ihn hier warten. Das Flugblatt hatte sie vergessen. Sie blätterte ein wenig in den Büchern, die auf dem Tisch lagen. Da, hier war eine Stelle mit einem Lesezeichen versehen und mit einem feinen Bleistiftstrich am Rand. Ein altmodischer Klassikerband war es, von Schiller, und die aufgeschlagene Seite handelte über des Lykurgus und
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