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Die Weiße Rose

Die Weiße Rose

Titel: Die Weiße Rose
Autoren: Inge Scholl
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seiner Brieftasche ein maschinengeschriebenes Blatt hervor und las:
    »Aus dunkler Höhle fährt
    Ein Schächer, um zu schweifen;
    Nach Beuteln möcht er greifen
    Und findet bessern Wert:
    Er findet einen Streit
    Um nichts, ein irres Wissen,
    Ein Banner, das zerrissen,
    Ein Volk in Blödigkeit.
    Er findet, wo er geht,
    Die Leere dürftger Zeiten,
    Da kann er schamlos schreiten,
    Nun wird er ein Prophet;
    Auf einen Kehricht stellt
    Er seine Schelmenfüße
    Und zischelt seine Grüße
    In die verblüffte Welt.
    Gehüllt in Niedertracht
    Gleichwie in einer Wolke,
    Ein Lügner vor dem Volke,
    Ragt bald er groß an Macht
    Mit einer Helfer Zahl,
    Die, hoch und niedrig stehend,
    Gelegenheit erspähend,
    Sich bieten seiner Wahl.
    Sie teilen aus sein Wort,
    Wie einst die Gottesboten
    Getan mit den fünf Broten,
    Das kleckert fort und fort!
    Erst log allein der Hund,
    Nun lügen ihrer tausend;
    Und wie ein Sturm erbrausend,
    So wuchert jetzt sein Pfund.
    Hoch schießt empor die Saat,
    Verwandelt sind die Lande,
    Die Menge lebt in Schande
    Und lacht der Schofeltat!
    Jetzt hat sich auch erwahrt,
    Was erstlich war erfunden:
    Die Guten sind verschwunden,
    Die Schlechten stehn geschart!
    Wenn einstmals diese Not
    Lang wie ein Eis gebrochen,
    Dann wird davon gesprochen
    Wie von dem schwarzen Tod;
    Und einen Strohmann bau’n
    Die Kinder auf der Heide,
    Zu brennen Lust aus Leide
    Und Licht aus altem Graun.«
    Einen Augenblick lang herrschte Stille. »Das ist ausgezeichnet«, sagte Christl verblüfft. »Großartig, Hans, das mußt du dem Führer widmen. Das gehört in den Völkischen Beobachter«, rief Alex entzückt über den Doppelsinn der Verse. Von wem mochte das Gedicht sein? – »Es wurde im vorigen Jahrhundert geschrieben, von Gottfried Keller.« – »Um so besser: dann können wir es drucken lassen, ohne Honorar bezahlen zu müssen, und mit dem Flugzeug über ganz Deutschland ausstreuen.«
    Sophie fiel die Weinflasche ein. Alex schlug vor, den Wein im Englischen Garten zu kühlen. »Schaut euch doch den Mond an, groß und goldgelb wie ein gut geratenes Spiegelei. Wir müssen ihn genießen.« Sie gingen in den Englischen Garten und zogen die Flasche an einer langen Schnur übermütig durch den kalten Eisbach. Alex hatte die Balalaika mitgenommen und begann zu singen. Hans griff nach der Gitarre. Sie waren plötzlich wie hingerissen und sangen, wild, fröhlich und verzaubert.
     
    Sophie wohnte diese Nacht bei ihrem Bruder. Sie dachte noch über den Abend nach. Zuerst hatten die Studenten von ihrer Arbeit in den Krankenhäusern und Lazaretten erzählt, in denen sie während der Ferien Dienst machten. »Es gibt nichts Schöneres, als so von Bett zu Bett zu gehen und das gefährdete Leben in den Händen zu halten. Da finde ich Augenblicke, in denen ich uneingeschränkt glücklich bin«, hatte Hans gesagt. »Aber ist es nicht ein Unsinn«, fragte da plötzlich jemand, »daß wir daheim in unseren Zimmern sitzen und lernen, wie man Menschen heilt, während draußen der Staat täglich zahllose junge Menschenleben in den Tod treibt? Worauf warten wir eigentlich? Bis eines Tages der Krieg zu Ende ist und alle Völker auf uns deuten und sagen, wir haben eine solche Regierung widerstandslos ertragen?«
    Auf einmal war das Wort Widerstand gefallen. Sophie entsann sich nicht mehr, wer es zuerst gesagt hatte. In allen Ländern Europas erwachte er unter der Not und Angst und Unterdrückung, die mit Hitlers Herrschaft einzogen.
    Noch im Einschlafen ging Sophie das Gedicht von Gottfried Keller durch den Sinn, und halb träumend sah sie einen blauen Himmel über Deutschland, voll flatternder Flugblätter, die zur Erde niederwirbelten. »Man sollte einen Vervielfältigungsapparat haben«, hörte sie plötzlich Hans sagen.
    »Wie?«
    »Ach, vergiß es wieder, Sophielein, ich wollte dich nicht stören.«
     
    Durch einen jungen evangelischen Theologen erhielten wir damals Kenntnis von den ›Korrekturen‹, die man von Staats wegen vorbereitete, um sie nach dem Endsieg an den Glaubensgrundsätzen des Christentums vorzunehmen.
    Grauenvolle und lästerliche Eingriffe, die man heimlich hinter dem Rücken der Männer plante, welche an den Fronten standen und unbeschreibliche Strapazen aushalten mußten.
    Ebenso geheimnisvoll bereitete man Anordnungen für Mädchen und Frauen vor. Sie sollten nach dem Kriege diesen furchtbaren Menschenverlust durch eine ebenso planmäßige wie schamlose Bevölkerungspolitik wiedergutmachen. Schon Gauleiter Gießler
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