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Die Weiße Rose

Die Weiße Rose

Titel: Die Weiße Rose
Autoren: Inge Scholl
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Glück, besonderen Menschen zu begegnen. An einem Herbsttag lernte er Carl Muth, den ergrauten Herausgeber des ›Hochland‹, einer bekannten Zeitschrift, kennen, die von den Nazis verboten worden war. Hans hatte eigentlich nur etwas bei ihm abzugeben. Aber der Alte blickte mit seinen hellen Augen Hans ins Gesicht, und als er ein paar Worte mit ihm gewechselt hatte, lud er ihn ein, bald wiederzukommen. Von da an war Hans häufig sein Gast. Stundenlang konnte er sich mit der riesigen Bibliothek beschäftigen. Hier verkehrten Dichter, Gelehrte und Philosophen. Hundert Türen und Fenster in die Welt des Geistes taten sich ihm im Gespräch mit ihnen auf. Aber er sah auch, daß sie wie Kellerpflanzen in dieser Unfreiheit lebten, und daß sie alle von der einen, großen Sehnsucht erfüllt waren, wieder frei atmen, frei schaffen zu dürfen und ganz wieder sie selbst zu sein.
    Auch unter den Studenten traf Hans manchen, der seiner Gesinnung war. Einer fiel ihm unter allen besonders auf durch seine hochgewachsene Gestalt und sein unmilitärisches Benehmen. Das war Alexander Schmorell, der Sohn eines angesehenen Arztes in München. Bald entspann sich zwischen ihnen eine herzliche Freundschaft, die zunächst damit begann, daß sie das sture Kasernendasein mit unzähligen witzigen Einfällen und Streichen auf den Kopf stellten. Shurik – so nannten ihn seine Freunde – sah die Welt mit Augen so voll von Phantasie, als sehe er sie täglich neu und zum erstenmal. Schön fand er sie, originell und voller Witz und Kuriosität. Und er genoß sie in einer großzügigen und kindlichen Lust und fragte und rechnete nicht viel nach. Und genauso, wie er in vollen Zügen nahm, so gab er auch. Er konnte schenken wie ein König. Aber zuweilen schimmerte durch diese Heiterkeit, durch seine freie, ungebundene Lebensart noch etwas anderes, ein Fragen und Suchen, ja ein uralter, tiefer Ernst. Als kleines Kind war er nach der Revolution im Arm einer Kinderfrau mit seinen Eltern aus Rußland ausgewandert. »Und nun bin ich vom Regen in die Traufe gekommen«, sagte Shurik. Ich bin überzeugt, daß die Initiative zu den Widerstandsaktionen der Weißen Rose von ihm zusammen mit Hans ausgegangen ist.
    Durch Alex gewann Hans noch einen weiteren Freund unter den Studenten. Das war Christl Probst. Hans hatte bald erkannt, daß zwischen ihm und Christl eine innere Verwandtschaft bestand. Die gleiche Liebe zur Schöpfung, dieselben Bücher und Philosophen waren es, die sie beide bewegten. Christl kannte die Sterne und wußte viel von den Steinen und Pflanzen der oberbayerischen Berge, in denen er zu Hause war. Am stärksten jedoch verband Hans mit ihm das gemeinsame Suchen nach dem Einen, das hinter all den Dingen, hinter den Menschen und ihrer Geschichte steht. Christl hing mit großer Verehrung an seinem Vater, der ein feinsinniger Privatgelehrter gewesen war. Vielleicht hat dessen früher Tod viel zu Christls ungewöhnlicher Reife beigetragen. Als einziger der vier Studenten war er verheiratet. Er hatte zwei Söhne im Alter von zwei und drei Jahren. Aus diesem Grunde hatte man ihn später, als der Freundeskreis sich zum aktiven Widerstand entschlossen hatte, bewußt aus den gefährdenden Aktionen wie etwa der Vervielfältigung und Verteilung der Flugblätter herauszuhalten versucht. Zweifellos hatte Christl beim Entwurf und der Formulierung der Texte eine wichtige Rolle gespielt.
    Später gesellte sich noch ein vierter hinzu: Willi Graf, ein blonder, großer Saarländer. Ein ziemlich schweigsamer Kerl war er, bedächtig und in sich gekehrt. Als Hans ihn näher kennenlernte, wurde ihm bald klar, daß Willi zu ihnen gehörte. Auch Willi Graf beschäftigte sich intensiv mit Fragen der Philosophie und Theologie. Sophie schilderte ihn: »Wenn er etwas sagt, in seiner gründlichen Art, so hat man den Eindruck, als habe er es nicht eher aussprechen können, bis er sich mit seiner ganzen Person dazu stellen konnte. Deshalb wirkt alles an ihm so sauber, echt und zutiefst zuverlässig.« Willis Vater, Direktor einer Weingroßhandlung, war es gewohnt, daß sein Sohn seinen eigenen Weg ging. Schon früh hatte er sich einer sehr lebendigen katholischen Jugendgruppe angeschlossen, und die Verhaftungswelle, die im Jahre 1937 Hans erfaßte, hatte auch Willi zu spüren bekommen. Nun studierte er, wie Christl, Alex und Hans, Medizin.
    Oft trafen sie sich nach einem Konzert in einer italienischen Weinstube. Sehr bald fühlten sie sich in Hans’ Bude oder bei Alex zu
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