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Die Wand der Zeit

Die Wand der Zeit

Titel: Die Wand der Zeit
Autoren: Alastair Bruce
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Tochter beim Spielen zu. Für beide freut er sich. Aber er glaubt nicht mehr. Es fällt ihm schwer, sie mit den Händen zu berühren, wenn er stets Blut an ihnen sieht. Manchmal denkt er, es wäre besser gewesen, sie wären alle gestorben, als dass im Zentrum dessen, was sie sind, was aus ihnen geworden ist, das Opfer steht. Ein Opfer, das er nur noch als Mord betrachtet.
    Alle anderen glauben noch, im Gegensatz zu ihm. Aber liegt es daran, dass kein noch so großer Glaube den Tod eines geliebten Menschen übersteht? Oder an etwas anderem?
    Im Dorf sieht man ihm nicht mehr in die Augen. Man meidet ihn. Man schließt die Tür, wenn er sich nähert. Man schließt ihn aus. Er macht niemandem einen Vorwurf. Er hat das Gefühl, seine Freunde umsonst ermordet zu haben. So möchte er nicht leben, von Geistern umringt, denn er weiß, sie werden immer bei ihm sein.
    Deshalb leistet er keinen Widerstand, als die Leute nachts zu seiner Hütte kommen. Er weiß, was sie zu ihm führt. Er wird ihnen ihre Last abnehmen. Zitternd geht er ihnen voran zum Sumpf. Als seine Zeit gekommen ist, ein Augenblick der Panik.
    Doch als er dann stirbt, denkt er an seine Frau und sein Kind. Er denkt an die kommenden Jahre, und zum ersten Mal seit den Tötungen lächelt er. Es macht nichts, dass sie die Wahrheit nicht kennen. Er sieht sie lachend durch die Straßen laufen,seine Tochter ist inzwischen eine junge Frau, und die Sonne strahlt so hell, dass das Bild langsam im Licht verblasst.
    Ich hätte Ruhe bewahrt, wenn meine Zeit gekommen gewesen wäre. Hätte mich der Richter zum Tod verurteilt, hätte ich einfach die Hände im Rücken verschränkt und darauf gewartet, dass man mir Fesseln anlegt. Ich hätte dem Richter in die Augen gesehen und kein Wort gesagt. Für große Menschen geziemt es sich, ruhig in den Tod zu gehen.
    Aber es hat nicht sein sollen.
    Ich denke an Tora am Strand zurück. Ausdruckslos steht sie mit Abel da, den sie aber nicht berührt. Ich lese, las die Ausdruckslosigkeit als Kummer. Und ich denke an sie beim zweiten Abschied. Verängstigt wird sie aus ihrer Dachkammer gezerrt, mit Tränen im Gesicht durch leere Straßen getrieben und von den Schaulustigen am Stadttor bespuckt.
    Zu sehen, wie ich sie anschaute und auf sie zulief, bis ich überwältigt wurde, wird ihr ein Trost gewesen sein. Ein Zeichen der Vergebung. Sie wird mir angesehen haben, dass ich ihr verzeihe. Auch wenn ich weit weg war.
    Dass sie mich angesprochen, meinen Namen ausgerufen hat, erlöst mich zwar nicht von meiner Schuld, aber es ist mir teuer.
    Von allem kann man nicht erlöst werden. Mit einem nicht wiedergutzumachenden, unvergesslichen Fehler steht man allein.
    Das weiß ich jetzt.
    Ich bin wieder auf der Insel. Ich laufe durch Wiesen aus Gras und Schlamm. Es ist kalt, ich friere und bin vom Regen durchnässt. Jeder Schritt ist mühsam. Meine Füße sinken in den Schlamm ein, der sie packt und festhält. Bleibe ich stehen, versinkeich. Ich kann weder stehen bleiben noch nachdenken. Ich stapfe weiter fußlahm um die Insel, blicke mich immer wieder nach dem schwankenden Gras um und warte auf das Kräuseln der Wellen im Boden. Ich spüre, dass er durch den Schlamm schwimmt. Augen offen, Mund offen, durchströmt ihn der Schlamm und tritt durch den Schlitz in der Kehle, den kiemenartigen Schlitz, wieder aus. Er hatte Jahrhunderte Zeit, das Atmen unter der Erde zu lernen. Mit langen, nicht schnellen, aber kräftigen Zügen schwimmt er hinter mir her. Er umschwimmt Felsen und Wurzeln und folgt dem Verlauf des Landes. Immer näher kommt er mir und greift nach meinem Fuß. Den hebe ich gerade noch rechtzeitig. Er fällt zurück, als er einen Schwimmzug auslässt. Holt auf und greift wieder nach mir. Ich hebe wieder den Fuß. Ich versuche zu laufen, wegzulaufen, ihm davonzulaufen. Er wird nicht müde. Ich schon. Ich keuche. Mit jedem Schritt sinke ich tiefer ein, und es wird immer schwieriger, die Füße zu heben. Ich weiß nicht, wo ich hin soll. Ich laufe und laufe und laufe. Ich laufe die ganze Nacht. Im Dunkeln verirre ich mich und rutsche plötzlich ins Moor, schlage in Panik um mich und schlucke die schlammige Brühe. Ich höre mich rufen. Ich höre mich schreien. Ich ziehe mich aus dem Torfmoor und laufe dann, renne und höre nicht auf zu rennen, bis ich wieder in meiner Höhle bin. Mit dem Rücken zur Wand, mit angezogenen Knien setze ich mich in eine Ecke und beobachte den Eingang. Hier fühle ich mich sicherer, sodass meine Atmung sich langsam
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