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Die Vorzüge der Dunkelheit: Neunundzwanzig Versuche die Welt zu verschlingen. Horrorroman. (German Edition)

Die Vorzüge der Dunkelheit: Neunundzwanzig Versuche die Welt zu verschlingen. Horrorroman. (German Edition)

Titel: Die Vorzüge der Dunkelheit: Neunundzwanzig Versuche die Welt zu verschlingen. Horrorroman. (German Edition)
Autoren: Ror Wolf
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Tiefe fließen, ich sah ein träges Vorwärtsrinnen am Boden und schließlich ein Hinein- und Hinabschießen in den Kanal. Das alles schien mir von großer Bedeutung für den Fortgang zu sein, für die Fortsetzung dieses gefährlichen Ausflugs in die Tiefe, dieser Reise durch die Gedärme der Erde, durch die Windungen der Därme, durch die entzündeten Stellen der Welt. Ich betrat tropfende Höhlen, die mich einschluckten wie ein geöffneter Rachen. Ich schleppte mich durch den Senkgrubenschlamm, den Ofenruß und die Asche. Ich kam an zarten schwitzenden Wänden vorbei, an der aufgesprungenen Haut dieser Wände, aus der es herausfloß herausfloß herausfloß. Plötzlich stand ich vor einer riesigen Öffnung mit tiefen feuchten Wülsten und Knoten. So war es: Ich hatte ein dunkles geheimnisvolles Gebiet betreten und wieder verlassen. Die Frau, an der ich vorüberkam, war verschwunden. Sie hatte mich ebenso rasch vergessen, wie ich sie: In einem einzigen fleischfarbenen Augenblick.

    Ich könnte den nächsten Abschnitt mit der Beschreibung eines Mundes beginnen, der sich über einen an der Gabel steckenden Bissen stülpt. Oder ich könnte den nächsten Abschnitt damit beginnen, wie etwas im Mund verschwindet und wieder herausläuft und hinab auf die Tischdecke tropft. Ich könnte von feinen geräuschlos darmabwärts gleitenden Speisen reden oder von kratzender Nahrung, von rauhem Brot und von roter Grütze. Oder ich könnte von einer Frau reden, die ich dabei überrasche, wie sie ein Ei aufschlägt. Ich könnte das Zischen des Fettes beschreiben und die Stimme der Frau: Ich bin froh, sagt sie vielleicht, daß mein Kuchen gelungen ist. Ich könnte beschreiben, wie sie die Hand schwer heraufzieht aus einer Schüssel und wie ihr in langen Strähnen der Teig von den ausgespreizten Fingern fließt. Aber das alles beschreibe ich nicht. Ich beginne den nächsten Abschnitt mit der Beschreibung von mondgelben Käsescheiben, die vor mir auf dem Tisch liegen, ich beginne ihn mit dem Trauergrau der Bockwürste, in die ich hineinbeiße. Ich hatte mich jetzt entschlossen, mein persönliches Leben nicht mehr geheimzuhalten. Ich hatte mich entschlossen, darüber nachzudenken, woher ich kam und wohin ich gehen wollte.
    Aus den Gesprächen in der Umgebung hörte ich bald, daß ich schon einmal in dieser Gegend gewesen sein mußte. Ich erfuhr alles, was draußen vorging und was geplant wurde. Ich fühlte, wie sich mein Hirn umdrehte, als ich mir eine Mütze aufsetzte. Ich fühlte die kalte Hand der Bäckersfrau eines Abends. Im Laufe des Sommers wurden mir von der Frau des Wohnungsnachbarn, einem Hutmacher, Anträge gemacht. Diese Frau verdarb mir das Leben so sehr, daß ich kaum atmen konnte. Eine der Frauen hörte ich manchmal wie einen Hund heulen. Eines Nachts kamen sie beide zu mir durch den Luftschacht. Ich sah sie nicht und ich hörte sie nicht, aber ich fühlte, wie sich ihre mageren Körper auf mich setzten und zu zittern begannen.

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N achts hörte ich ein Kratzen. Ich hörte ein Nackenknacken, ein Ohrenpochen, ein Tropfen im Kopf. Ich hörte den Regen fallen und an die Fenster schlagen, und über mir hörte ich etwas Weiches, Gedämpftes, später dann etwas Zitterndes, Schwankendes, etwas in der Dunkelheit Schleichendes. Ich hörte ein kaltes Walzen, ein Wischen oder ein Streichen, ich hörte das Geräusch, mit dem man Butter auf eine Brotscheibe streicht, oder das Geräusch, mit dem man etwas vom Tisch wischt. Ich hörte das schleimige Abhusten aus der Tiefe, aus dem Badezimmer, und ein darauffolgendes ununterbrochenes gurgelndes Abfließen. Ich hörte ein plötzliches Ausdehnen und Einpressen. Am Ende hörte ich ein Geräusch wie ein Schaben. Die ganze Nacht schabte es schabte es schabte es, und am Morgen bemerkte ich plötzlich, daß ich es war, der schabte, ich schabte, ich schabte mich durch die Wand und verschwand.
    Vor mir lagen riesige Hüte, rote hutartige Berge, auf die der Regen fiel. Am Mittag erreichte ich dann den Rand eines Kraters. Ich blieb stehen, in großer Ruhe und mit verschränkten Armen, um die Zukunft und alles Andere abzuwarten.
    In dieser Gegend, in der die Welt fortwährend in die Tiefe rutscht, sah ich Bewegungen in der Ferne. Ich sah die Wolken gegen die Wände prallen. Ich sah den entzündeten Himmel, ich sah ein weiches lautloses Herabschweben von Lawinen, ein Sprühen und Dampfen. Ich sah einen Mann im Schnee stehen, und ich sah die große Geschwindigkeit der wandernden Berge.
    Ich erinnerte
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