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Die Vorzüge der Dunkelheit: Neunundzwanzig Versuche die Welt zu verschlingen. Horrorroman. (German Edition)

Die Vorzüge der Dunkelheit: Neunundzwanzig Versuche die Welt zu verschlingen. Horrorroman. (German Edition)

Titel: Die Vorzüge der Dunkelheit: Neunundzwanzig Versuche die Welt zu verschlingen. Horrorroman. (German Edition)
Autoren: Ror Wolf
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langsam zu Ende geht. Sehen Sie das? Ich habe Capone später als freundlichen Mann mit dem hellen Hut beschrieben, ich habe ihn wirklich in allen Einzelheiten beschrieben, von unten bis oben, ich habe ihn als den Mann beschrieben, der im Hintergrund singend aus einem kleinen explodierenden Café heraustrat, in aller Ruhe, und sich die Handschuhe anzog. Nach ihm verließen drei lachende Damen das kleine Café, mit langen wehenden Haaren und langen seidenen Schals und langen wehenden Röcken.
    In diesem Moment sog ich an meiner kalten dampfenden Hand, der Schwung der Erinnerungen trieb mich dahin, niemand stand an den Fenstern. Ich ging in dieser mir ganz und gar unbekannten Stadt die Straße hinab und hatte sämtliche Worte vergessen.
    Am Ende brannte noch eine einzige Lampe. Wenn diese Lampe erloschen ist, dachte ich, wird es so still so dunkel so kalt sein, wie in den vorangegangenen fünf oder sechs Nächten, oder sieben Nächten?

26



A ls ich am nächsten Morgen erwachte, spürte ich ein gewöhnliches Schwanken. Die Betten schwanken, sagte ich, bemerken Sie das? Ja ich bemerke es, sagte die Frau des Fernfahrers und zog sich langsam die Schnürschuhe an. Plötzlich wurde das Haus ein Stück in die Höhe gehoben und flog einfach davon, doch vielleicht täuschte ich mich, vielleicht kam es mir nur so vor, und als dieses Schwanken vorbei war, geschah etwas anderes und so ging es weiter.
    Der Erdboden ist eine dünne Haut, dachte ich, als ich am Fenster stand. Ich sah Senkungen, Schlitze und kleine offene Löcher auf der Oberfläche und wunderte mich nicht. Es war auch nicht überraschend, daß jetzt die Schächte unter dem Druck der darüberstehenden Häuser zusammenbrachen. Vor dem Fenster platzten die Häuser, sie wurden einfach zerrissen, die Kirchenspitzen knickten, aber das war wirklich etwas ziemlich Alltägliches, besonders hier, vor dem Fenster, an einer dieser gefährlichen Stellen der Gegend.



Der Erdboden ist dünn, dachte ich, der Erdboden ist eine dünne trockene Haut über den ausgekratzten Grotten und Gruben. Gerade in diesem Moment zerfielen die Wände, langsam und unauffällig sanken die Menschen um. Selbst große Gegenstände wurden nach oben geblasen und wehten einfach davon, aus den Fenstern heraus und hinein in die Ferne. Eine dicke Brühe aus Schlamm und Geröll floß dunkel hinunter ins Tal und bedeckte schmatzend die großen braunen Gebäude der Nähmaschinenfabrik. Es könnte so sein, vermutlich wahrscheinlich vielleicht, sagte ich, möglicherweise, ich weiß aber nicht, ob es so ist. Automobile und Straßenbahnen verschwanden für einige Zeit, doch sie erschienen bald wieder und fuhren ganz ruhig hinein in die Fremde. Die Frau des Fernfahrers saß auf der aufgeschlitzten Matratze und zog sich langsam die Schnürschuhe an. Plötzlich hörte ich ein Geräusch. Ich sah auf die Uhr, es war sieben Minuten vor Sieben. In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und der Fernfahrer erschien mit einer Ledermütze: Retten Sie sich, das ganze Haus steht in Flammen! rief er und hatte sich schon hinabgeschwungen. Ich sprang in den schwarzen Rauch hinein, in ein Wälzen von Menschenkörpern. Als ich mich beim Vorüberlaufen im Spiegel sah, kam ich mir plötzlich bekannt vor. Doch das sah nur so aus.
    Am nächsten Abend, am Freitag, ging ich noch einmal die Straße hinunter. Halt, rief Capone, gehn Sie nicht weiter, bleiben Sie stehen. Aber von mir war schon nichts mehr zu sehen, auch im Spiegel nicht.



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I ch erinnere mich, daß ich am folgenden Tag, also am Samstag, meine Wohnung betrat, gegen zehn Uhr. Ich erinnere mich, daß ich die Tür aufschloß und einen Geruch wahrnahm nach ich weiß nicht, nach Fleisch, nach Menschenfleisch. Ich erinnere mich auch an ein kleines Geräusch in der Nähe der Wohnzimmertür, ich erinnere mich an das Knistern von Zeitungspapier. Ich hörte dann eine Stimme, eine Männerstimme, und sah einen Mann sitzen, einen Mann mit meinen Pantoffeln und meinem Morgenrock. Er saß auf meinem Ledersessel, er hatte die Beine auf den Rauchtisch gelegt und las in der Morgenzeitung. Vor ihm kniete die Frau des Fernfahrers, aufgeklappt nackt. Ich erinnere mich, daß der Mann, der aus meiner Pfeife rauchte, zwischen den Pfeifenzügen und dem gelegentlichen Aufschreien der Frau des Fernfahrers, vom Reiben sprach: vom Reiben. Und nun spreche ich auch vom Reiben, und ich spreche von der Frau des Fernfahrers, die an diesem Morgen kurz nach zehn Uhr rieb und rieb. Ich könnte weiter
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