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Die Vorzüge der Dunkelheit: Neunundzwanzig Versuche die Welt zu verschlingen. Horrorroman. (German Edition)

Die Vorzüge der Dunkelheit: Neunundzwanzig Versuche die Welt zu verschlingen. Horrorroman. (German Edition)

Titel: Die Vorzüge der Dunkelheit: Neunundzwanzig Versuche die Welt zu verschlingen. Horrorroman. (German Edition)
Autoren: Ror Wolf
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mich an die Hüte der Spaziergänger, die hintereinander die Straße hinaufgingen, in einer langen Reihe, hintereinander, und die auf der anderen Seite wieder hinuntergingen. Ich erinnerte mich an die Bewegungen der Ausflugsgondel, die neben mir schwang, und neben mir schwang auch die Witwe mit ihrem schwarzen flatternden Kleid, mit ihrem raschelnden Lachen. Und ich erinnerte mich an die Hüte, die plötzlich von oben herabrollten, die Hüte, während wir schwangen und schwangen. Am folgenden Tag regnete es, daran erinnere ich mich, auch am dritten Tag. Am vierten Tag stürzte jemand hinab in die Tiefe, er wollte nur seinen Hut holen, der ihm vom Kopf gefallen war, er hatte gerade den Gipfel erreicht, als ein plötzlicher Windstoß den Hut erfaßte und auf den Abgrund zutrieb. Er rannte und rannte, er packte den Hut in der Luft und stürzte hinab in die Tiefe.

    Die äußere Gestalt des Gebirges änderte sich eine Weile später. Es folgte ein Knall, ein sehr lauter Knall, ein furchtbares Krachen. Es war Mittwoch. Was für ein seltsames Land, dachte ich: ausgezackt, eingerissen, bis in die Tiefe zerfetzt. Das Krachen übertraf übrigens alle Beschreibungen, sagte ich, als man mich später nach diesem Krachen fragte. Es war derart stark, daß die Witwe ihren Mund dicht an mein Ohr halten mußte, damit ich die Worte verstehen konnte, so furchtbar war dieses Krachen.
    Ich bin jetzt sehr glücklich, sagte die Witwe, die neben mir lag. Trotzdem wollte sie einen letzten Blick über dieses Gelände werfen. So vergingen viele Minuten. Ich sehe nur speckige Berge, sagte die Witwe, ich sehe nur eine Landschaft aus Fett und Schmalz, sagte sie, bevor sie umsank und augenblicklich einschlief. Der Schnee fiel weiter herab. Ein Mann kam ums Leben, ein zweiter, ein zweiter Mann, ich weiß nicht, ein zweiter Mann?
    Auf einer scharfen Schneide glitt Wobser aus und stürzte hinab, im Rausch noch beim Hinabstürzen singend. Nebel und Glätte und Schnee und weiterer Schnee. Als ich Wobser wiedergefunden hatte, in einer weichen Grube, war ihm die Zigarre noch immer nicht ausgegangen. Das ist bezeichnend für das Leben dieses ungewöhnlichen Menschen. Er beklagte lediglich den Verlust seines Hutes. Ein ungeheurer Sturz, rief er aus, indem er sich aufrichtete, aus Mund und Nase blutend. Dann stiegen wir den beschriebenen Berg hinauf zum nördlichen Teil der Landschaft, um die es hier geht, denn es geht ja um eine Landschaft. Nach einer Weile fanden wir einen Mann, der im Begriff war, ein Gewehr abzuschießen. Ich bin Amerikaner, rief er. Viel mehr war nicht zu erwarten bei diesem blasenden Sturm. Der Fall eines schweren Körpers beendete diese Szene. Ich hörte ein Aufklatschen. Die Vögel schwirrten davon. Am nächsten Tag hatte der Amerikaner die Gegend verlassen und war nach Chicago zurückgekehrt.
    Am Abend hatte ich eine beträchtliche Höhe erreicht. Ich hatte mich wie Quark durch die zahlreichen Klüfte gequetscht, mit den Zähnen knirschend. Ich glaube, ich war nicht allein. Als ich endlich auf der Spitze des Berges stand, am oberen Rachen, fand ich, daß sich noch jemand in meiner Gesellschaft befand. Jemand zeigte mir im gedämpften Mondlicht die Stelle, an der man Eier kocht und Kartoffeln. Ich hatte bisher vergeblich auf ein Gespräch über die Schönheit der ausgebreiteten Natur gewartet. Lange blieb es still, denn natürlich wollte niemand die Unterhaltung eröffnen. Mächtige Schneewürste hingen herab. Die Nächte begannen zu brummen. Später erfreute mich eine schweigsame Frau mit heißen Kartoffeln.

    Die Witwe bewegte lächelnd die Fußspitzen. Von den weiteren Bewegungen wollen wir gar nicht reden, von den Unebenheiten des Untergrunds reden wir nicht, von den Zusammenziehungen des ganzen Körpers schweigen wir und vom Sickern, vom Sickern, vom Gefrieren und natürlich vom Nebel, der bekanntlich die Bergspitzen und damit nicht selten die Menschen plötzlich umhüllt und in kritische Lagen bringt, in den überschneiten Spalten und Klüften, wie ich anfangs erwähnte, und mit den Erscheinungen, die mit keiner der bisher erwähnten Erscheinungen verglichen werden können. Wir redeten nicht von dem heranwehenden Verwitterungsschutt, von den Ausnagungen oder den Abschürfungen und Abschmelzungen. Es wird ohnehin kein Stein auf dem anderen bleiben, alles wird irgendwann auf dem Grund des Meeres liegen, auch die Gipfel der Berge, alles liegt dann auf dem Grund des Meeres, sagte die Witwe und bewegte lächelnd die Fußspitzen.
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