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Die vollkommene Lady

Die vollkommene Lady

Titel: Die vollkommene Lady
Autoren: Margery Sharp
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rührte sich im Schlaf, seufzte und
schlief wieder weiter. Er hatte noch vier Tage Urlaub, und wenn er nur bei ihr
bleiben würde — dachte Julia —, sollte er in dieser Zeit jede Nacht ebenso fest
schlafen...
    Sylvester Packett blieb. Er sehnte sich
nach Suffolk, aber in Suffolk konnte er nicht schlafen, und bei Julia konnte er’s.
Es war nicht schön, aber der Krieg war daran schuld. Er blieb noch vier Tage
und kehrte dann an die französische Front zurück.
    Julia weinte, als er fortfuhr. Ihre
Zuneigung war jedenfalls uneigennützig gewesen — sie hatte alle Geschenke, bis
auf eine Brosche mit seinem Regimentsabzeichen, abgewiesen — aber sie war auch
nicht von Dauer, und wäre nicht ein peinlicher und unvorhergesehener Umstand
eingetreten, würde sie kaum mehr an ihn gedacht haben.
     
    *
     
    An einem der ersten Augusttage, nach
einer fünfstündigen Chorprobe für „Pretty Louise“, fiel Julia in Ohnmacht.
Nachdem sie mit Hilfe ihrer Freundinnen wieder zu sich gekommen war und
erfahrenen Rat angenommen hatte, ging sie nach Hause und schrieb an Sylvester.
    Sie hatte nichts von einer Erpresserin
an sich. In dem Brief stand nur, daß sie ein Kind erwarte und daß sie sicher
sei, es sei von ihm, und wenn er ihr helfen könnte, wäre sie sehr dankbar, wenn
es ihm aber nicht möglich sei, brauche er sich keine Sorgen zu machen. Mit den
besten Grüßen, in Liebe, Julia. Die Antwort darauf versetzte ihr den größten
Schock ihres Lebens.
    Er nahm Urlaub und heiratete sie.
    Er tat es während eines
Achtundvierzig-Stunden-Urlaubs, und Julia sollte nie wieder zwei so
ungemütliche Tage verbringen. Sie, die eigentlich niemals schlechte Laune
kannte, war durch ein Gefühl der Erleichterung und Dankbarkeit besonders gut
aufgelegt. Aber er brachte es fertig, ihre Stimmung niederzudrücken. Er war
nicht mehr schweigsam, aber von einer tödlichen Langeweile. Stundenlang
erzählte er ihr andauernd von einem trübsinnig klingenden Ort in Suffolk —
einem uralten Haus namens Barton und einem alten Garten in einem Dorf, das zehn
Meilen von der nächsten Eisenbahnstation entfernt lag. Offenbar hatte seine
Familie, ohne Auto und Telefon, seit Hunderten von Jahren dort gelebt. Wäre die
Zeit nicht so knapp gewesen, wäre er mit ihr hingefahren. Als Julia jedoch,
glücklich über diese Wendung ihres Schicksals und sorglich darauf bedacht, ihn
zu trösten, einen Besuch für seinen nächsten Urlaub vorschlug, biß er sich auf
den Knöchel seines Daumens und wechselte das Thema. Er benahm sich tatsächlich
so, als ob die Zukunft ihn nichts mehr anginge. Er wollte sich nicht einmal
Hemden kaufen. Um ihn aufzuheitern, bestand Julia darauf, im Ritz zu dinieren
und hinterher eine Operette zu besuchen; aber auch diese Bemühungen blieben
erfolglos. Und wenn schon der Abend mißglückt war, die Hochzeitsnacht war ein
vollkommener Reinfall.
    Julia verbrachte sie allein. Ihr Mann
schrieb die ganze Nacht über an einem Brief, der an seine Eltern adressiert
war, aber nicht sofort an sie abgeschickt wurde. Die Bank habe den Auftrag,
sagte er, ihn zu gegebener Zeit auszuhändigen. Als man diesen Brief las,
stellte sich heraus, daß er bis ins einzelne gehende Anweisungen für die Erziehung
seines ungeborenen Kindes enthielt, von dem nur als von „dem Jungen“ die Rede
war. Der Junge sollte in Barton geboren werden und die Namen Henry Sylvester
erhalten. Bis zu seinem neunten Lebensjahr sollte er in Barton bleiben und dann
eine Vorbereitungsschule für Winchester besuchen. Nach Winchester sollte er
entweder nach Sandhurst oder nach Cambridge kommen, je nachdem er seine Wahl
zwischen der militärischen Laufbahn oder dem Medizinstudium getroffen habe.
Falls er sich unentschlossen zeigte, sollte er in den Heeresdienst eintreten. „Aber
unter gar keinen Umständen“, schrieb sein Vater unvermutet sarkastisch, „soll
er Militärarzt werden.“
    Das waren die wesentlichsten
Richtlinien. Der Brief enthielt aber noch genaue Anordnungen für ein Pony — „das
sofort gegen ein größeres umgetauscht werden muß, sobald der Junge ihm
entwachsen ist; es gibt nichts Schlimmeres für ein Kind, als mit den Füßen auf
dem Boden zu schleifen“ — und für Kricketunterricht. Im Alter von zwölf Jahren
sollte der Junge die alte Flinte seines Vaters, Kal. 20, und mit achtzehn
Jahren die Purdey, Kal. 2, bekommen; sein Großvater würde ihm beibringen, wie
man damit umginge. Alle diese Dinge und noch viele andere waren berücksichtigt,
gründlich
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