Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die vollkommene Lady

Die vollkommene Lady

Titel: Die vollkommene Lady
Autoren: Margery Sharp
Vom Netzwerk:
Marlowes um halb fünf das
Bedürfnis nach einer Tasse Tee.
    „Wenn ich nicht bald zu meiner Tasse
Tee komme“, beklagte sich die Ältere, „schlafe ich ein. Diese schreckliche
Hitze!“
    „Dieses schreckliche Mittagessen“,
sagte die realistischere Schwester. „In zehn Minuten werden wir in Joigny sein,
dort kann man anständigen Tee bekommen.“
    „Wirklich anständig?“ fragte die ältere
Miß Marlowe mißtrauisch. „Hotel ist Mitglied der Automobil-Association“,
erwiderte die jüngere Miß Marlowe kurz.
    Die beiden Damen setzten sich in ihren
Sitzen hoch und starrten sehnsüchtig nach dem ersten Zeichen der
Eisenbahnbrücke.
    Wenn man über diese Brücke fährt, wie
Sir William es eine halbe Stunde später tat, muß man stark abbremsen: und
jenseits stehen dann schon die ersten Hotels mit ihren einladenden
Anpreisungen. Sir William wurde bei ihrem Anblick klar, daß er seit langem
schon eine sehr ausgedörrte Kehle hatte. Er war nur mit einer kurzen Pause für
das Mittagessen fast acht Stunden unterwegs, und allmählich hatte die Unruhe
sich seiner bemächtigt. Er befürchtete unter anderem, er könnte einen geistigen
blinden Fleck entwickelt haben — daß sein Auge, das automatisch jeden Wagen auf
der Straße beobachtete, seinem Gehirn keine Nachricht mehr davon zukommen
ließe.
    Da kam wieder ein Wagen in sein
Blickfeld, ein alter, der vor einem Hotel hielt. Sir William sah ihn sich mit
größter Sorgfalt an, und diesmal taten seine Augen ihre Pflicht. Das war der
Wagen, den Julia ihm einmal vor Pernollet gezeigt hatte, der den beiden Damen
gehörte, die Julia nach Aix mitgenommen hatten.
    Sir William stellte seinen Wagen neben
den anderen, kletterte ganz steif vom langen Fahren hinaus und betrat das Hotel
gerade, als die beiden Marlowes ihren Tee bezahlten. Julia war nicht bei ihnen.
Er blieb auf der Schwelle stehen und überlegte sich, welche nicht zu
unwahrscheinliche Frage er an sie richten könnte, wobei ihm ärgerlich einfiel —
denn Sir Williams Sinn für Humor war mittlerweile erschöpft —, daß er ja gar
nicht wußte, unter welchem Namen die alten Damen Julia kennen mochten. Während
er noch unschlüssig stand, blickten die beiden auf...
    „Oh!“ riefen die Schwestern Marlowe
einstimmig. „Wir haben Ihre Frau gesehen!“
    Ohne auf ihre Aufforderung zu warten,
schritt Sir William hinüber und setzte sich an ihren Tisch. Aus irgendeinem
Grund schien man es von ihm zu erwarten, daß er beunruhigt war. Die beiden
Damen zeigten keinerlei Erstaunen über sein unzeremonielles Auftreten.
    „Die jungen Männer sind heutzutage so
unvorsichtig!“ rief die Ältere aus. „Ist sie noch nicht zurück?“
    „Nein“, sagte Sir William, jetzt ganz
wach und aufmerkend. Ein junger Mann — na ja, das war nicht weiter
verwunderlich! Aber wieso unvorsichtig? „Überschritten sie die erlaubte
Höchstgeschwindigkeit?“ fragte er. „Ich weiß, daß auf französischen Straßen...“
    „Nein, im Gegenteil!“ unterbrach ihn
die Jüngere. „Sie kamen kaum vom Fleck. Und der Wagen machte einen sonderbaren
Krach...“
    „So spuckende Geräusche...“, warf ihre
Schwester dazwischen, „daß wir uns ganz beunruhigt fühlten.“
    „Das bin ich auch“, gab Sir William zu.
„Ich bin, um ganz offen zu sein, auf der Suche nach den beiden. Dieser junge
Mann, ein Bekannter von uns, wollte einen kleinen Ausflug mit meiner Frau
machen, und ich fürchte, sie haben irgendwo eine Panne gehabt. Können Sie mir
wohl genau sagen, wo Sie sie sahen?“
    „Gleich hinter Bourg“, sagte die eine
Schwester, „aber das war ja schon um halb elf. Wenn sie sich auf der
Hauptstraße nach Paris gehalten haben, dann müssen sie noch hinter uns sein. Wo
wollten sie denn hin?“
    „Irgendeine Aussicht bewundern“, sagte
Sir William unbestimmt. Warum hatte er sie nicht überholt, wenn sie noch auf
dem Weg waren? Doch der blinde Fleck? Hatte Julia ihn vielleicht gesehen — und
ihn vorüberfahren lassen?
    „Auxerre?“ schlug die Jüngere vor. „Wenn
Ihre Frau für Pater schwärmt...“
    Trotz seiner Sorge und Müdigkeit mußte
Sir William lächeln: das mußte er sich merken — eines Tages würde er Julia eine
Ausgabe von Pater schenken und sehen, was sie dazu wohl sagte...
    „Das ist sehr gut möglich“, sagte er
laut. „Da hätte ich gleich daran denken können. Irgendwo anders kann ich sie ja
nicht verpaßt haben. Ich glaube“ — er erhob sich langsam wieder— „ich werde
lieber gleich dort nachsuchen.“
    Auf der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher