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Die vollkommene Lady

Die vollkommene Lady

Titel: Die vollkommene Lady
Autoren: Margery Sharp
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angelsächsischen Abstammung zu. Das ist schon
etwas, ermutigte sich Julia. Er kann mich wenigstens verstehen. Er wird mich
für eine Abenteurerin halten, das macht ihm bestimmt Spaß.
    Der Citroën blieb mit einem Ruck
stehen. Sie ging hinüber und setzte einen Fuß auf das Trittbrett. Dann sagte
sie: „Würden Sie mich wohl mitnehmen?“
    Der junge Mann sah sie an. Sein Gesicht
hatte einen merkwürdigen Ausdruck — nicht frech oder berechnend, sondern eher
erstaunt; irgend etwas, das Julia sich nicht erklären konnte.
    „Wo wollen Sie denn hin?“ fragte er.
    „Ist mir ganz egal“, sagte Julia. Das
hatte sie gar nicht sagen wollen; was sie tatsächlich hätte sagen wollen, wäre
etwa in dem Stil gewesen: Immer der Sonne nach! Oder: Wo Sie hingehen, will
auch ich hingehen. — Irgend etwas, das ausgelassen und abenteuerlustig klang,
aber die vier kleinen jämmerlichen Worte waren ihr nun unversehens entschlüpft.
Mit großer Mühe gelang es ihr, das gute alte Julia-Lächeln zu zeigen, und dann
fragte sie, wohin er unterwegs sei.
    „Hauptrichtung: Paris“, sagte der junge
Mann, „aber ich weiß noch nicht genau, ob und wann ich das Programm schaffen
werde. Der Wagen ist nicht übermäßig zuverlässig.“
    „Gut genug für mich“, sagte Julia und
stemmte ihre Handtasche auf den Rand des Notsitzes. Der junge Mann zögerte
einen Augenblick, dann kletterte er, immer noch mit dem seltsamen Ausdruck im
Gesicht, heraus, brachte die Tasche etwas sicherer unter und öffnete ihr die
Tür. Er äußerte sich abfällig über die große Wärme und zog seinen Mantel aus,
was Julia zunächst nicht verstehen konnte, da sie selbst vor Kälte zitterte,
bis er den Mantel um ihre Knie legte. Mit einem Seufzer der Erleichterung
lehnte sie sich zurück; sie hatte es wieder einmal geschafft, und ganz
automatisch griff sie zur Puderdose. Aber sie benutzte sie nicht. Der Spiegel
im Deckel warf ihr ein Bild entgegen, das ihr plötzlich, brutal, die Bedeutung
des Gesichtsausdrucks des jungen Mannes klarmachte. Er nahm sie nicht deshalb
mit, weil er glaubte, sie sei eine Abenteurerin, sondern weil sie eine müde,
tränenverschmierte, alte Frau war.
     
    *
     
    Kurz nach acht Uhr bog Sir Williams
großer Wagen von Muzin kommend in die Hauptstraße ein. Julia hatte also knapp
siebzig Minuten Vorsprung, und der Unterschied in der Geschwindigkeit der
beiden Wagen war erheblich. Der Citroen erreichte bis zu vierzig Kilometerstunden,
der Wagen von Sir William machte einen Durchschnitt von achtundsechzig. Das
einzig Dumme war, von Sir Williams Standpunkt aus gesehen, daß die beiden Wagen
in entgegengesetzten Richtungen fuhren.
    Sir William wandte sich also nach Aix.
Er war noch nicht übermäßig besorgt. Julias kleiner Zettel hatte ihn bestürzt,
denn er konnte sich denken, in welchem Zustand sie ihn geschrieben hatte; aber
er war keineswegs verzweifelt. So fuhr er also in einem gemächlichen Tempo
dahin und nahm an, daß er sie bald, entweder zu Fuß oder in einem Auto,
überholen würde. Er wußte, daß Julia keinen Penny besaß, bis zu einem gewissen
Grade konnte er sich in ihre Gedanken versetzen — er zweifelte nicht einen
Augenblick daran, daß er ihren Plan und ihr Ziel kannte. Sie würde zunächst
versuchen, nach Paris zu gelangen und von dort weiter nach London: daher
brauchte sie Geld für die Fahrkarte oder jemand, der sie im Auto mitnahm. Sir
William hatte inzwischen auch die Geschichte von Mr. Rickaby genossen — Aix war
das nächstliegende Jagdgebiet.
    Sein großer Fehler in seinen
Schlußfolgerungen lag darin, daß er Julias einfachen Plan nämlich komplizierte.
Es kam ihm gar nicht in den Sinn, daß Julia sich möglicherweise am Weg auf
bauen würde, um Paris direkt und nicht via Aix zu erreichen. Obwohl er sie gut
zu kennen glaubte, war er überzeugt, daß sie wenigstens einen halben Tag
benötigen würde, um Anschluß zu finden, und seine Gedanken beschäftigten sich
hauptsächlich damit, sich zu überlegen, in was für einer Gesellschaft er sie
finden würde.
    Da Sir William Julia auf der Landstraße
nicht überholt hatte, frühstückte er zunächst vor einer Patisserie, von wo er
die Vorübergehenden beobachten konnte, und verbrachte dann eine volle Stunde
damit, die wichtigsten Cafés und Hauptstraßen abzusuchen. Es war also schon
halb elf geworden, als sein Wagen, jetzt in voller Fahrt, den Weg nach Muzin
wieder passierte und auf Paris zusteuerte.
     
    *
     
    Etwa fünfzig Kilometer hinter Bourg
überholten die
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