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Die vollkommene Lady

Die vollkommene Lady

Titel: Die vollkommene Lady
Autoren: Margery Sharp
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versuchen. Sie hatte
kostspielige, wenn nicht gar luxuriöse Neigungen, und es fehlte ihr an
jeglicher Vorbildung für irgendeinen der achtbaren einträglicheren Berufe. Aber
sie schlug sich durch. Sie war sehr vielseitig. Sie hatte immer noch eine ganze
Menge als Statistin zu tun und spielte einmal in einer Nachtklubszene die Dame,
die in den Springbrunnen fiel. Hin und wieder zeigte sie auf Modenschauen
Modelle für die fülligeren Figuren. Ihr gewinnendes Lächeln warb für ein neues
Backpulver und ein Stärkungsmittel für Frauen über vierzig. Außerdem entlieh
sie sich natürlich Geld von ihren Freunden und nahm gelegentlich ihre
Gastfreundschaft an. Das einzige, was Julia niemals in Betracht zog, war eine
Rückkehr nach Barton und zu den Packetts.
    Sie war für immer von ihnen
abgeschnitten. Mit aufrichtiger Demut nahm sie sich selbst kritisch unter die
Lupe, schätzte sich ab und kam zu der Erkenntnis, daß sie nicht gut genug für
sie wäre. Sicherlich war sie nicht gut genug für eine Tochter, die in die
Wycombe-Abbey-Schule ging und Reitstunden hatte und deren beste Freundin dort
die Schwester eines Lords war...
    So fand sich Julia damit ab, und
während vieler Monate, in denen sie immer sehr beschäftigt und sehr knapp daran
war, vergaß sie beinahe, daß sie überhaupt eine Tochter besaß. Erst, als Susan
in Nöten war, wachten Julias mütterliche Instinkte wieder auf, aber dafür waren
sie nun auch äußerst rege. Ihre unmittelbare Wirkung war, wie schon bekannt,
die Verlegenheit von zwei Gerichtsvollziehern und das Reinlegen eines so
vorsichtigen Mannes wie Mr. Netherton.

3
     
    D ie Adresse, die Susan angegeben hatte,
lautete: Les Sapins, Muzin, près de Belley, Ain. Und sobald die Wohnung noch
einmal zu ihrer alleinigen Verfügung stand, ging Julia ihre Kleider durch, um
zu sehen, welches von ihnen, falls überhaupt eins, sich für diesen
Bestimmungsort eigne. Er lag auf dem Lande, natürlich, wie Barton, und
wahrscheinlich war es genau so ein langweiliges Nest, nur vermutlich etwas
heiterer, da es sich immerhin in Frankreich befand, Julia breitete ihre drei
Abendkleider aus und sah sie nachdenklich an. Das nachtblaue Taftkleid, das die
Schultern frei ließ und um die Brust so eng gearbeitet war, daß es ohne
Achselbänder hielt, mochte noch angehen, wenn sie irgendeinen Überwurf oder Schal
dazu umnahm, aber über die beiden anderen — ein weißes, dessen Oberteil
eigentlich nur aus einer schwarzsamtnen Mohnblume bestand, und ein mit Pailletten
besticktes grünes — schüttelte Julia den Kopf. Selbst in Frankreich würden die
Packetts nicht so heiter sein, daß man so etwas in ihrer Gegenwart tragen
konnte.
    Ich muß wie eine Dame aussehen, dachte
sie. Ich muß eine Dame sein...
    Der Gedanke beunruhigte und reizte sie
zugleich. Es würde schwierig sein, aber sie würde es fertigbringen. Und in
einer Hinsicht war Julia tatsächlich glücklicher daran, als sie wußte: ihre
Vorstellung von einer Dame war so fest Umrissen, so völlig frei von
irgendwelchen zweideutigen Schattierungen und feineren Einzelheiten wie ein
Schnittmuster; und wie das Schnittmuster befaßte sie sich nur mit dem äußeren
Effekt. Damen, die sich natürlich benahmen, waren in Julias Augen keine Damen.
Sie waren gute Kerle, aber das war etwas ganz anderes. Wenn man Julia plötzlich
nach einer Definition gefragt hätte, würde sie wahrscheinlich geantwortet
haben: Damen trinken niemals mit vollem Mund und reagieren nicht auf Blicke und
Angesprochenwerden. Wenn man sie gefragt hätte, warum nicht, würde sie erwidert
haben: Weil sie Damen sind. Wenn man dann mit unhöflicher Beharrlichkeit weiter
in sie gedrungen wäre, ob man denn eine Frau erst essen und trinken sehen
müsse, oder abwarten, bis jemand zudringlich zu ihr würde, bevor man
entscheiden könne, ob sie eine Dame sei, würde Julia ihre Definition etwa
folgendermaßen erweitert haben: Eine Dame kann man immer an ihrer Kleidung
erkennen. Wie elegant sie auch sein mag, die Kleidung einer wirklichen Dame
fällt nie auf. Und wenn sie plötzlich ihre Unterwäsche wechseln will — man
hätte Julia diese Äußerung natürlich nur entlocken können, bevor sie selbst eine
Dame wurde —, kann sie es jederzeit tun.
    Julia beschloß, nur eine Fahrkarte für
die Hinreise zu nehmen und von dem übrigen Geld ein neues Abendkleid zu kaufen.
Außerdem erstand sie noch ein Leinenkostüm, einen Hut für reifere Damen und
drei Hemdhosen. Sie besaß bereits sehr viele davon, aber alle
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