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Die vollkommene Lady

Die vollkommene Lady

Titel: Die vollkommene Lady
Autoren: Margery Sharp
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durchdacht und zu Papier gebracht worden, mit Unterstreichungen,
Verbesserungen und mehreren Abschriften. Denn dieses lange, ausführliche und
pedantische Dokument enthielt weit mehr als das offizielle Testament, den
letzten Willen Sylvester Packetts.
    Es hatte auch noch einen kurzen Anhang:
„Ich habe es niemals irgendwem erzählt, aber auf der alten Pumpe hinten im
Obstgarten ist fast jedes Jahr ein Meisennest und im roten Hagedornstrauch an
der Ecke des Feldes eins von einem Dompfaff. Sagt ihm, daß es beim Ausblasen
vor allem darauf ankommt, es ganz langsam zu tun. Selbstverständlich wirst Du
immer nur ein Ei wegnehmen.
     
    Dein Dich liebender Vater Sylvester
Packett.“
     
    Zwei Monate später fiel er bei Ypern;
und das Kind, das in Barton zur Welt kam, war ein Mädchen.
     
    *
     
    Es wurde Suzanne Sylvester getauft. Der
erste Name wurde von Julia gewählt. Sie fand ihn zugleich patriotisch (da er
französisch war) und hübsch, und die alten Packetts ließen ihr ihren Willen.
Sie waren unglaublich gut zu ihr. Als die Mutter ihres Enkelkindes (wenn es
auch kein Knabe war) nahmen sie sie mit offenen Armen auf. Liebevoll und
unbehelligt von irgendwelchen Fragen wurde sie wie eine Tochter des Hauses
gehalten. Sie verlangten nichts anderes, als daß Julia und das Kind dableiben
und sich glücklich fühlen sollten.
    Und Julia gab sich redlich Mühe.
Neunzehn Monate lang ordnete die sittsame Erscheinung der jungen Mrs. Packett
die Blumen in den Vasen, machte Besuche, ging zur Kirche und spielte mit dem
Baby, wann immer die Nurse es ihr erlaubte. Abend für Abend saß dieses züchtige
Wesen mit den Schwiegereltern bei Tisch, und jeden Abend spielte sie nach dem
Essen eine Stunde lang die einfacheren Klassiker auf dem Flügel im Wohnzimmer.
Bei den harmlosen Gesellschaften, die sich aus dem Verkehr mit der
Nachbarschaft ergaben, spielte sie dieselben Stücke auf den Flügeln der
jeweiligen Gastgeber. Alle ihre Abendkleider waren hochgeschlossen, und zwei
hatten sogar lange Ärmel.
    So sah die Marionette aus, die Julias
Dankbarkeit geschaffen hatte; und Dankbarkeit allein hielt und bewegte die
Fäden. Die wirkliche Julia saß im Zimmer der jungen Mrs. Packett und weinte vor
Langeweile; aber selbst ihre Tränen wurden, als man sie entdeckte, nur für
einen weiteren Beweis für das treue und zärtliche Herz der Marionette gehalten.
Doch Julias Herz war wirklich zärtlich: am schlimmsten empfand sie in ihrer
Langeweile das Fehlen von irgend jemand zum Liebhaben. Sie hatte zwar ihr Kind
und mochte es sehr gern; aber irgend jemand bedeutete für Julia ein Mann. Es
war ihre natürliche Bestimmung, irgendeinen Mann zu lieben, nur mußte der Mann
am Leben und da sein und sie wiederküssen können. Liebe zu einem Toten — selbst
zu einem toten Ehemann — lag ihrer Natur nun einmal nicht.
    Daß sie es unter solchen Bedingungen
ein Jahr und sieben Monate in Barton aushielt, muß ihr immerhin hoch
angerechnet werden, und nicht geringer deshalb, weil sie dann den Kampf aufgab
und entschlossen zu einem leichtsinnigen Lebenswandel zurückkehrte.
     
    *
     
    Dieser Lebenswandel bestand
ursprünglich aus einer Komparsentätigkeit in einem Operettenfilm, von dem Julia
durch eine Freundin hörte, die einen Freund hatte, der einen Mann von der
damals noch in den Kinderschuhen steckenden Filmindustrie kannte.
    Sie traf die Freundin bei Selfridges,
während einer ihrer seltenen Fahrten in die Stadt; sie trafen sich — in der
Strumpfabteilung — kurz nach drei Uhr. Da sie aber nicht nur zusammen Tee
tranken und von alten Zeiten sprachen, sondern auch noch zusammen zu Abend aßen
und in die Bodega gingen, um den Freund der Freundin zu treffen, und nachher
ins Café Royal, um dessen Freund zu treffen, verpaßte Julia den letzten Zug.
Sie übernachtete in der Wohnung der Freundin und fand es herrlich, auf dem Sofa
und in einem Bademantel zu schlafen, der nach Fettschminke roch; und diese
Nacht und dieser Geruch gaben für die Zukunft den Ausschlag. Am nächsten Morgen
sagte sie ihren Schwiegereltern, daß sie wieder in der Stadt leben wolle.
    „Aber — Susan?“ fragte Mrs. Packett
rasch.
    Julia zögerte. Der Brief ihres Mannes,
der jetzt in Mrs. Packetts Schmuckkasten eingeschlossen war, war unter der
Voraussetzung geschrieben worden, daß das Kind ein Sohn sein würde; aber das
Schriftstück galt immer noch als eine Art Evangelium. Der alte Henry Packett
beschäftigte sich in Gedanken vorwiegend mit Ponys, insbesondere mit
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