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Die Violine des Teufels

Die Violine des Teufels

Titel: Die Violine des Teufels
Autoren: Joseph Gelinek
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modern gewesen waren, verwendete nur die besten Hölzer für die Instrumente, die seine Werkstatt verließen: Tanne aus dem Val di Fiemme in den Dolomiten für die Decke des Klangkörpers – das gleiche Holz, das auch Stradivari für seine Violinen verwendet hatte – sowie Ahorn vom Balkan für die Zargen und den Boden. Doch in letzter Zeit hatten sich einige seiner Kunden über mangelnde Klangfülle bei den Instrumenten beschwert, die Lupot ihnen ausgehändigt hatte, und nach beinahe sechsmonatigen Nachforschungen hatte der angesehene Geigenbauer schließlich herausgefunden, dass das Holz, das ihm aus Italien geliefert wurde, zwar wie bestellt aus den Dolomiten stammte, sein Lieferant, die Firma Ciabattoni, die Bäume jedoch nicht zur rechten Zeit fällte. Damit das Holz für die Decke der Geigen taugt, dürfen die Tannen nur geschlagen werden, wenn der Mond im letzten Viertel steht, denn dann sind die Säfte der Bäume in die Wurzeln gesunken und das Holz steht nicht unter Spannung. Der Geschäftsführer von Ciabattoni hatte am Telefon eingeräumt, seine Firma habe derzeit so viele Bestellungen, dass sie gezwungen seien, die Tannen in sämtlichen Mondphasen zu fällen. Um das Vertrauen seines Kunden zurückzugewinnen, versprach er ihm, ihm den Kaufpreis für die mangelhaften Lieferungen komplett zurückzuerstatten. Doch Lupot war so empört über das unredliche Geschäftsgebaren der Italiener, dass er noch am selben Nachmittag beschloss, für immer mit ihnen zu brechen.
    »Wenn dein Vater noch lebte«, hatte Lupot zum Geschäftsführer gesagt, womit er den ehrwürdigen Giuseppe meinte, der die »Ditta Ciabattoni« in den siebziger Jahren gegründet hatte, »wäre das niemals geschehen. Ihn trieb die Liebe zur Musik und zu den Instrumenten an, nicht die Habgier.« Und um seinem Ärger vollends Luft zu machen, hatte er den Italiener zuletzt angeschrien: »Vaffanculo, stronzo!«
    Einen neuen Lieferanten zu finden, würde jedoch nicht so einfach sein. Zunächst bedeutete es, nach Italien zu reisen, um persönlich und vor Ort mit den Verantwortlichen der verschiedenen Sägewerke zu sprechen und zu sehen, ob sie vertrauenswürdig waren, sowie wenn möglich auch die Wälder zu besichtigen, aus denen das Holz kommen sollte.
    Als Lupot 1975 den Vertrag mit Ciabattoni geschlossen hatte, war er beim Fällen der ersten Bäume dabei gewesen und hatte mit eigenen Augen gesehen, wie sorgfältig der alte Giuseppe mit Hilfe eines Försters die geeigneten Tannen von denen, die nicht taugten, unterschieden hatte. Er hatte sich vor jeden einzelnen gefällten Baum gekniet und das Ohr an das frisch geschlagene Holz gelegt, während der Förster auf der anderen Seite mit einem kleinen Hammer gegen den Stamm geschlagen hatte. Nach Ciabattonis Einschätzung hatte ein Baum die Prüfung nur dann bestanden, wenn das Holz »sang«.
    Obwohl sich auf Lupots Schreibtisch die Bestellungen für neue Musikinstrumente häuften, fühlte er sich an diesem Abend so erschöpft und reizbar, dass er beschloss, sich einige Tage Urlaub zu nehmen.
    Das Atelier La Muse stellte nicht nur begehrte Saiteninstrumente her, sondern veranstaltete auch Ausstellungen alter Violinen und Violoncelli sowie Vorträge über die Kunst des Instrumentenbaus. Seit Monaten lud der Círculo de Bellas Artes in Madrid Lupot immer wieder ein, einen Vortrag zu diesem Thema zu halten. Nun beschloss er, die Spanier nicht länger hinzuhalten und sich einige Ruhetage in der spanischen Hauptstadt zu gönnen.
    Obwohl es schon ein wenig spät war, griff er zum Telefon und rief bei seinen alten Freunden Roberto Clemente und Natalia de Francisco an, einem Ehepaar, das die Geigenwerkstatt El Obrador in der Nähe des Einkaufszentrums Puerta de Toledo führte. Wie er selbst hatten die beiden sich mit Leidenschaft ihrer Arbeit verschrieben, und Lupot war sicher, sie trotz der fortgeschrittenen Stunde noch Gewehr bei Fuß anzutreffen. Doch zu seiner Überraschung ging ihr Sohn Carlos ans Telefon, ein junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren, der seinen Eltern hin und wieder bei der Reparatur von Instrumenten zur Hand ging. Allerdings hatte Gott ihm nicht das handwerkliche Geschick mitgegeben, das er benötigt hätte, um ein würdiger Nachfolger seiner Eltern zu werden.
    »Hallo, Arsène, meine Eltern sind in ein Konzert gegangen. Bis wann dürfen sie dich zurückrufen?«
    »So spät sie wollen. Ich schlafe sowieso nur drei Stunden pro Nacht. Wer spielt denn?«
    »Ane
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