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Die Violine des Teufels

Die Violine des Teufels

Titel: Die Violine des Teufels
Autoren: Joseph Gelinek
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herausgeputzten vornehmen Damen, die den Nerzmantel in der Garderobe hatten abgeben müssen. Der große Konzertsaal des Auditorio, der Raum für fast zweitausendfünfhundert Personen bot, war bis auf den letzten Platz besetzt. Die meisten Zuhörer saßen wie Perdomo vor dem Orchester, doch auch die Plätze neben der Bühne waren besetzt, und sogar die, die sich dahinter befanden, zu beiden Seiten der Orgel. Der gewaltige Saal, in dem an diesem Abend eine erwartungsvolle Stimmung herrschte, war so konstruiert, dass sämtliche Elemente zur Akustik beitrugen: vom Dach aus Nussbaumholz bis hin zu den geneigten Wänden, die dafür sorgten, dass nicht zu viel Hall entstand.
    Dann war der magische Augenblick endlich da.
    Ohne dass Perdomo es bemerkt hatte, war Maestro Claudio Agostini auf die Bühne gekommen, und das Publikum brach in stürmischen Beifall für den altgedienten – und in Spanien heißgeliebten – Dirigenten aus. Wie Gregorio seinem Vater angekündigt hatte, bedeutete Agostini dem gesamten Orchester mit einer energischen Handbewegung, aufzustehen, und sobald er am Pult stand, verbeugte er sich vor dem Publikum, um sich für den Applaus zu bedanken. Dann drehte er sich um, hob den Taktstock, und die Ouvertüre aus der Hochzeit des Figaro begann: zunächst ein Säuseln aus schnellen, verspielten Sechzehntelnoten, die den Saiteninstrumenten und Fagotten übertragen waren, dann, ein wenig kraftvoller, die Antwort der Oboen und Hörner, und zum Schluss ein großes Tutti unter Einschluss der Pauken und Trompeten. Perdomo fand, diese Musik strahle eine so überbordende Zuversicht aus, dass man Lust bekam, auf dem Sitz auf und ab zu hopsen oder zumindest den Takt mit den Füßen mitzuklopfen. Und tatsächlich schwang ein Rollstuhlfahrer, den man in seinem Rollstuhl in den Mittelgang gestellt hatte, die rechte Hand wie einen Taktstock, während er in der linken die eigens mitgebrachte Taschenpartitur hielt. Ein Glück, sagte sich der Polizist, dass der Dirigent mit dem Rücken zu ihnen stand, denn sonst hätte das Gezappel dieses überschwenglichen Musikliebhabers ihn womöglich abgelenkt. Perdomo stieß Gregorio leicht mit dem Ellbogen an, um ihn auf den selbsternannten Hilfsdirigenten aufmerksam zu machen, und der Junge schloss entnervt die Augen, als wollte er sagen: »Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.«
    Perdomo, der Musik liebte, wenn auch eine andere Art von Musik – er war bei den Beatles stehen geblieben, die er nicht ohne Grund für die größten Liederschreiber aller Zeiten hielt –, kamen die viereinhalb Minuten der Ouvertüre sehr kurz vor, und als das Publikum in Applaus ausbrach, begeistert darüber, wie geschickt Agostini das bewegende Mozartsche Crescendo der letzten Minute zu steigern gewusst hatte, ließ Perdomo sich mitreißen, stand auf und feuerte den Maestro mit Bravo-Rufen an, was ihm einen tadelnden Blick seines Sohnes eintrug.
    »Hab ich was falsch gemacht?«, fragte der Inspector, nachdem er sich beruhigt und wieder gesetzt hatte.
    »Jetzt flipp nicht schon beim Dirigenten aus. Ich hab dir doch gesagt, dass man sich den echten Applaus für Ane aufsparen muss.«
    Nachdem Agostini den verdienten Beifall entgegengenommen hatte, verschwand er von der Bühne und kam gleich darauf im Gefolge der bezaubernden Ane Larrazábal zurück. Das Publikum applaudierte ihnen lange, als hätten sie das Konzert bereits gegeben, und überall waren – größtenteils lobende – Bemerkungen über das gewagte Dekolleté der Solistin zu hören. Es schien, als würde es gar nicht zum Paganini-Konzert kommen.
    Doch plötzlich setzte die Musik ein.
    Perdomo stellte schon beim Anfangsallegro fest, dass Larrazábals Violine eine hypnotische Wirkung auf ihr Publikum ausübte, das ihre virtuosen Pirouetten mit angehaltenem Atem verfolgte, als wäre sie eine jener unglaublichen Trapezkünstlerinnen des weltberühmten Cirque du Soleil. Die Spanierin entlockte ihrer Geige einen unverwechselbaren Klang, unter anderem dadurch, dass sie wie Paganini spielte, also ohne Kinnhalter und Schulterstütze. Wie Larrazábal dennoch diese feinen Vibrati erzeugte, mit denen sie ihr Publikum vor Ergriffenheit erbeben ließ, war ein Geheimnis, das bisher nicht gelüftet worden war. Der – zumeist aus Ebenholz gefertigte – Kinnhalter war 1820 von dem Virtuosen Louis Spohr, Paganinis großem Rivalen, erfunden worden und galt als grundlegendes Zubehör, weil er die linke Hand von der undankbaren Aufgabe
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