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Die Violine des Teufels

Die Violine des Teufels

Titel: Die Violine des Teufels
Autoren: Joseph Gelinek
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Leiche wurde im Chorsaal gefunden. Wenn Sie möchten, bringe ich Sie hin, aber der Junge …«
    »Der Junge bleibt hier, logisch«, stellte Perdomo klar, ein wenig gekränkt, weil sie ihm offenbar zutraute, einen Minderjährigen an einen Mordschauplatz mitzunehmen. »Kann er in irgendeiner Garderobe auf mich warten?«
    »Ich würde ja bei ihm bleiben, aber dann kann ich Sie nicht zur Leiche bringen.«
    Die Posaunistin hob den Kopf und ließ den Blick über das Gewirr aus Musikern auf dem Korridor schweifen. Schließlich erblickte sie einen Kollegen, den sie wohl für besonders vertrauenswürdig hielt.
    »Georgy, Schatz, ich suche dich schon seit einer halben Stunde. Könntest du dich vielleicht einen Moment um dieses Kind kümmern? … Wie heißt du übrigens?«
    »Gregorio«, antwortete der Junge.
    »Ah, fast wie meine Name«, merkte der Mann mit starkem russischem Akzent an.
    Er war ein korpulenter Mann mit glatten, halblangen Haaren, einem Schnurrbart und einem dichten Kinnbart, der sich an der Spitze ein wenig einrollte wie ein türkischer Pantoffel. Dieser Hüne schüchterte Gregorio ganz offensichtlich ein, und er mochte nicht bei ihm bleiben. Er zupfte seinen Vater am Ärmel und fragte leise: »Kann ich nicht mitkommen?«
    Perdomo setzte die ernsteste Miene auf, deren er fähig war, und blickte seinem Sohn fest in die Augen. »Keine Chance. Hörst du? Das ist kein Spiel.«
    »Papa, bitte, ich bin auch ganz bestimmt ganz brav.«
    »Hör auf zu betteln, Gregorio. Ich habe gesagt, du kannst nicht mitkommen, und Punkt.«
    »Georgy kann ruhig bei ihm bleiben. Ich brauche wohl nicht extra zu sagen, dass er der Tubaspieler des Orchesters ist, was? Georgy Roskopf.«
    »Komm mit, Gregorio«, sagte der Tubaspieler und zog eine Grimasse, die wohl ein Lächeln sein sollte. »Mal sehen, weißt du, wer ist?«, fuhr er fort und deutete auf eines der Fotos im Korridor.
    »Yehudi Menuhin«, erwiderte Gregorio wie aus der Pistole geschossen.
    »Sehr gut, eins zu null für dich. Wer das?«
    Der Tubaspieler, der sein schweres Instrument nur mit einer Hand hielt, als wäre es eine Trompete, verstand es offenbar, mit Gregorio umzugehen. Perdomo war beruhigt.
    »Bringen Sie mich jetzt bitte zur Leiche«, bat er die Posaunistin, sobald Gregorio und Roskopf sich ein Stück entfernt hatten, ganz versunken in ihr Ratespiel um die auf den Fotos abgebildeten Berühmtheiten.
    »Hier entlang, bitte«, sagte die Frau. Dann machten die beiden sich auf den Weg dorthin, wo man Ane Larrazábals Leiche gefunden hatte.

    Unterwegs erklärte Elena Calderón dem Polizisten, worum es sich bei dem Chorsaal handelte.
    »Das Auditorio verfügt außer dem großen Konzertsaal und dem Kammermusiksaal noch über einen weiteren Saal für kleine Ensembles, Proben, Vorträge und Diashows. Er ist klein, für circa zweihundert Leute, und heute wurde er nicht benutzt.«
    »Haben Sie die Polizei gerufen?«, fragte Perdomo.
    »Ja, sicher, sobald wir die Leiche entdeckt hatten.«
    »Dann kommt sie ja bald. Aber wo ich schon einmal hier bin, werfe ich lieber mal einen Blick darauf, auch wenn ich nicht im Dienst bin. Ich hoffe, es ist nichts angefasst worden.«
    »Das weiß ich nicht. Ich habe den Raum nicht mal betreten, ich habe die Leiche gar nicht gesehen. Ich glaube, Maestro Agostini hat sie gefunden.«
    Unterdessen hatten Perdomo und die Posaunistin die Tür zum Chorsaal erreicht. Sie war geschlossen.
    Auf dem Boden gleich davor saß Andrea Rescaglio, der Erste Cellist des Orchesters. Er sah die beiden nicht kommen, denn er hatte den Kopf in den Händen vergraben und weinte bitterlich; er trug noch seinen Frack. Neben ihm standen Maestro Agostini, der auf einen Schlag um zehn Jahre gealtert schien, sowie ein Mann von etwa fünfundvierzig Jahren in Sakko und schwarzem Hemd, der sich als der Chefdirigent des Spanischen Nationalorchesters, Joan Lledó, vorstellte. Er hatte kleine Augen, ein Bäuchlein, sehr dünne Lippen und einen permanent verächtlichen Zug um den Mund, der ihn Perdomo sofort unsympathisch machte.
    »Andrea«, sagte Elena Calderón, beugte sich hinab und berührte den Cellisten an der Schulter, »die Polizei ist hier.«
    Rescaglio fuhr zusammen, als würde er aus einem schlimmen Traum erwachen. Er hob den Kopf, und als er Perdomo erblickte, stand er auf. Während er sich mit einem Taschentuch die Tränen abwischte, reichte er Perdomo wortlos die Hand.
    Die Posaunistin stellte dem Polizisten die beiden Dirigenten vor, und Perdomo zeigte ihnen
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