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Die Violine des Teufels

Die Violine des Teufels

Titel: Die Violine des Teufels
Autoren: Joseph Gelinek
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Nummer 24 für Violine solo, von Paganini.«
    Das Publikum feierte die Wahl der Zugabe euphorisch mit einem kurzen, aber heftigen Applaus. Als wieder erwartungsvolle Stille eingekehrt war, begann Ane Larrazábal mit dem erfurchtgebietenden Werk des Genuesen.
    Das Capriccio Nummer 24 war nicht nur das berühmteste der vierundzwanzig Capricci, sondern geradezu legendär, denn zahlreiche berühmte Komponisten hatten ausgehend von seinem Hauptthema neue Werke geschaffen: von Johannes Brahms über Witold Lutosławski oder Sergei Rachmaninow bis hin zu Andrew Lloyd Webber – die Liste der Musiker, die dieser teuflisch schwierigen Komposition gehuldigt hatten, war schier endlos. Das Stück bestand aus einem Thema, gefolgt von neun Variationen, und in jeder hatte Paganini eine andere Geigentechnik erkundet.
    Larrazábal umschiffte die scheinbar unüberwindlichen Klippen der ersten acht Variationen anmutig und mit musikalischem Gespür. Als sie zur neunten kam, bei der der Musiker die Melodie pizzicato mit der linken Hand spielen muss, geschah etwas Außergewöhnliches, das manche hinterher Larrazábals besonderer Art, die Geige zu halten, zuschrieben: Mitten im Spiel entglitt ihr das Instrument und flog im hohen Bogen durch die Luft. Sekundenlang schien die kostbare Stradivari schwerelos und wie in Zeitlupe zu schweben. Unmittelbar bevor sie auf dem Boden zerschellt wäre, fing Andrea Rescaglio, der Erste Cellist des Orchesters, der rechts vom Dirigentenpult saß, sie mit flinker Hand auf.
    Das Publikum, das zunächst nicht fassen konnte, was geschehen war, schwieg verdutzt, bis Rescaglio der Musikerin das kostbare Instrument nach einer galanten Verbeugung wieder in die Hand drückte. Daraufhin brach spontaner Applaus los.
    Perdomo wandte sich an seinen Sohn. »So, so, man darf also erst am Ende des Werkes applaudieren, was?«
    Gregorio lächelte nur, und die sichtlich verstörte Violinistin begann, entschlossen, die Fassung zurückzugewinnen, die neunte Variation von vorn.
    Diesmal spielte sie das Capriccio ohne weitere Zwischenfälle bis zum brillanten Finale. Nach dem letzten Akkord wurde zwar stürmisch applaudiert, doch niemand wagte, nach diesem einzigartigen Vorfall eine zweite Zugabe zu fordern.
    In der Pause nahmen Perdomo und sein Sohn an der Bar des Auditorio eine Erfrischung zu sich und lauschten dabei den Kommentaren der Konzertbesucher über die Episode mit der »fliegenden Violine«.
    »Ruggiero Ricci«, sagte ein Herr, der aussah wie ein Richter am Obersten Gerichtshof, »benutzte auch keinen Kinnhalter, aber ein Mann hat natürlich mehr Kraft in den Händen. Ihm wäre die Geige niemals aus der Hand geglitten.«
    »Kannst du dir vorstellen, was passiert wäre, wenn der Cellist das Instrument nicht im letzten Moment aufgefangen hätte?«, fragte eine mit Schmuck behangene junge Frau, die ganz so wirkte, als wäre sie seine Geliebte. »Die Stradivari wäre auf dem Boden zerschellt. Und dabei heißt es, sie sei eine der kostbarsten, die es gibt!«
    Kurz vor Ende der Pause fragte Perdomo seinen Sohn nach dem Werk, das im zweiten Teil gespielt werden würde: dem Konzert für Orchester von Bartók.
    »Ehrlich gesagt, Papa, Bartók finde ich nicht so toll. Wenn du möchtest, können wir auch gehen, mir macht das nichts.«
    »Nach dem Vermögen, dass ich für die Plätze hinblättern musste?! Wir bleiben, bis der letzte Musiker gegangen ist!«, erwiderte sein Vater und tätschelte ihm liebevoll den Kopf.
    Die letzten Nachzügler nahmen gerade wieder ihre Plätze ein, und Perdomo bemerkte, dass im Parkett nun einige Lücken blieben, auch wenn im Konzertsaal noch immer eine großartige Stimmung herrschte. Doch dann erstarrte das Publikum, denn anstelle von Maestro Agostini kam Alfonso Arjona, der Direktor des Konzertveranstalters Hispamúsica, von der Seite her auf die Bühne. Mit verstörter Miene bat er um Ruhe. Dann verkündete er mit bebender Stimme: »Aus zwingenden Gründen kann der zweite Teil des Konzerts leider nicht stattfinden. Falls sich ein Angehöriger der Polizei unter Ihnen befindet, so möge er sich bitte sofort zu den Garderoben begeben. Vielen Dank.«

5
    Paris, zur Zeit des Konzerts
    A rsène Lupot, der Inhaber des Atelier-Lutherie La Muse, einer der ältesten Instrumentenwerkstätten der Stadt, hatte keinen guten Tag gehabt.
    Der fünfundsiebzigjährige Mann mit dem lockigen grauen Haar, der noch immer eine dieser Brillen mit schwarzem Kunststoffrahmen trug, die in den siebziger Jahren so
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