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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug
Autoren: Eckart Klessmann
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hineinpeitschte. Bei dem Kochen herrschte die größte Schweinerei; an Reinigung des Geschirres war nie zu denken.«
    Endlich wurden die Offiziere in Mohilew in Privatquartieren untergebracht und dort sehr gut behandelt. Bei einem Spaziergang kam von Furtenbach mit dem westphälischen Hauptmann von Münchhausen bei dem Gouvernementshaus vorbei, vor dem ein Rekrutentransport hielt.
    »Ein junger, schöner russischer Unteroffizier sah Münchhausen lange starr ins Gesicht, endlich auf einmal fiel er ihm um den Hals und zu Füßen; alles lief nun zusammen und bewunderte diese Szene, die sich nun folgendermaßen aufklärte. Münchhausen war bei einer Kolonne Russen kommandiert, selbe zu eskortieren, es war um die Zeit vorm Übergang über die Beresina, unsere alliierte Armee in der größten Not und schon der Auflösung nahe; vom Kaiser Napoleon war die Ordre gegeben, alle Russen, welche marode zurückblieben, niederzumachen, um nicht die wahre Lage zu verraten. Dieser junge Unteroffizier konnte ohnmöglich wegen schlimmer Füße weitermarschieren, Vorspann war nicht zu haben, und schon wollte ein Soldat diese harte Ordre vollziehen, als Münchhausen, der den jungen Mann bedauerte, ihn mit dem Bedeuten wegschickte, er wolle den Russen selbst mit seiner Pistole erschießen, und ließ daher den Zug vorwärts gehen. Nun machte er selbem begreiflich, daß er nach dem Schuß sich totstellen, und wie der Transport weit genug entfernt wäre, im nahen Gebüsch verbergen solle; selber stürzte nach dem Schuß zusammen, und jeder glaubte, er teile das Schicksal der übrigen auf diese Art Gelieferten. Durch allerlei Zufälle kam endlich der junge Russe glücklich wieder zu seinem Korps, aber das Bild seines Wohltäters vergaß er nie und kannte ihn auch hier gleich wieder.
    Nun wollte mit Gewalt der Unteroffizier Münchhausen eine schöne goldene Uhr aufdrängen, und mit vieler Mühe konnten wir ihm selbes ausreden, doch mit ihm in eine Schenke zu gehen und zu zechen, dieses konnten wir ohnmöglich ablehnen, und mit der größten Rührung trennte sich der junge Russe von uns.«
    Am 27. Juni bestiegen die Offiziere Wagen, die sie weiter in Richtung Osten nach Orel, Tambow und schließlich Pensa führten, wo sie am Nachmittag des 26. August eintrafen. Wie so viele deutsche Offiziere, so lernte auch Friedrich von Furtenbach hier den aus Baden stammenden Schneidermeister Engertmeyer kennen: »Dieser brave, wohlhabende Mann besitzt ein gut eingerichtetes Haus, dem Gouverneur gegenüber, hat 20–24 Gesellen sitzen und arbeitet für das ganze Gouvernement; jeden Offizier bekleidete und speiste er auf seine Kosten, und die Badener erhielten auch ansehnliche Geldsummen von ihm. Auch ich aß einige Male bei ihm und wunderte mich über die gebildete und gesittete Familie und die wirklich schöne Einrichtung; seine Frau, eine Russin, spricht gut deutsch und ist ebenfalls sehr gebildet.« Johann Peter Hebel hat diesen Mann, der fast sein gesamtes Vermögen den deutschen Gefangenen opferte und darüber sich nahezu ruiniert hatte, berühmt gemacht durch seine Erzählung Der Schneider in Pensa (1815), in der er den aus Bretten stammenden Mann ein »Gotteskind« nennt.
    In russischer Gefangenschaft lernten die deutschen Offiziere übrigens, daß die meisten Russen das Rauchen verabscheuten und nur selten den Tabaksqualm in ihrer Nähe duldeten. In Pensa wurden Raucher, so Furtenbach, unnachsichtig vor die Tür geschickt, ja selbst auf Gehöften und innerhalb eines Dorfes wurde das Rauchen nicht geduldet, wohl auch wegen der Brandgefahr.
    In Pensa war ebenfalls kein Bleiben. Am 1. September verlegte man 14 Offiziere nach dem fünf Tagesreisen entfernten Krasnoslobodosk, wo man schon 23 westphälische Offiziere vorfand. Hier bekamen die drei Bayern im Namen der Prinzessin Amalie von Bayern eine Gratifikation von je 76 Rubeln und 92 Kopeken, die zur Anschaffung von warmer Kleidung, Pelzen und Stiefeln verwendet wurde. Ende November wurde den Bayern ihre Entlassung mitgeteilt, und am 22. April 1814 sah Friedrich von Furtenbach in Nürnberg seine Angehörigen wieder.
    Nach eigenen Angaben nahmen die Russen 48 Generale, 3000 Offiziere und 190 000 Mannschaften gefangen. Von diesen Gefangenen sollen etwa 100 000 an Kälte, Hunger, Krankheit oder Verwundung gestorben sein, wobei die während des Transports Ermordeten wohl mitgezählt worden sind. Danach müßten die Russen etwa 90 000 Soldaten der Grande Armée in ihre Heimat entlassen haben.
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